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Frankfurt am Main

Nie wieder Frankfurt am Main

Die zweite Reise nach Westdeutschland nach der Grenzöffnung führte mich 1990 nach Frankfurt am Main. Ich war gerade frisch arbeitslos, als mir eine Anzeige im Rostocker Blitz auffiel.

Betreuer für Spiel- und Warenautomaten deutschlandweit gesucht. Rostock wurde in dieser Nachwendezeit nahezu von Sex-Shops, Spielautomaten, Baumärkten, Autohäusern und Drogerieketten überflutet. Eben alles, was es seit Ende des 2. Weltkriegs im Osten nicht mehr gab. Der Bedarf an solchen Sachen schien unersättlich und es wurden fähige Mitarbeiter gesucht. Arbeitskräfte waren nach der Schließung der volkseigenen Betriebe und Werften im Osten an und für sich ausreichend vorhanden. Dennoch wagte ich einen Versuch und bewarb mich auf diese seriös wirkende Anzeige.


KEMPINSKI HOTEL FRANKFURT GRAVENBRUCH

Tatsächlich wurde ich zwei Wochen später zu einem Vorstellungsgespräch nach Frankfurt am Main eingeladen. Dieses Gespräch sollte im Kempinski Hotel Frankfurt Gravenbruch stattfinden. Ich kaufte mir ein neues Hemd und bereitete mich sehr konzentriert darauf vor, denn ich fühlte mich als junger Vater für meine Familie verantwortlich. Nichts sollte schief gehen.

Aufgeregt fuhr ich Ende November mit dem Zug nach Frankfurt (Main) Hbf. Am frühen Nachmittag kam ich etwas müde an. Hoch motiviert fuhr ich mit der S-Bahn sofort weiter. Im Hotel angekommen war noch etwas Zeit bis zum Termin. Ich hatte bisher nichts Richtiges gegessen und suchte deshalb das Restaurant auf. Nach einem kurzen Blick in die Speisekarte wurde mir schnell klar, hier speist die Upperclass.

Quelle: Luxuriöses 5 Sterne Hotel in Neu-Isenburg, Frankfurt | Kempinski Hotel Frankfurt

Meine Finanzen waren beschränkt, so bestellte ich aus der Kategorie Vorspeisen einen Feldsalat. Ich sah vor meinem geistigen Auge eine große Schüssel mit leckerem Salat. Wenig später servierte mir der Kellner dann einen kleinen Teller mit einer einzigen Feldsalatpflanze. Sie war dramatisch dekoriert mit zwei winzigen roten Zwiebelringlein und einem Hauch Öl. Dazu gab es eine Scheibe Baguette. Geschockt fragte ich mich, ob ich gerade ein Opfer von der versteckten Kamera geworden war. Aber es kam kein Moderator um die Ecke, um mich abzuholen. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie so langsam und millimeterweise ein einziges Salatblatt gegessen. Dass ich dafür einen zweistelligen DM-Betrag zahlen durfte, möchte ich nur kurz am Rande erwähnen.

Beim Herausgehen stahl ich heimlich ein Stück Baguette vom Buffet. Das war mir so was von peinlich, aber ich wollte nicht mit knurrendem Magen im Gespräch sitzen.

ein neuer Job?

Das Vorstellungsgespräch verlief anders als erwartet. Es war ein riesiger Andrang vor dem gemieteten Seminarraum. Im zwanzig Minuten-Takt wurden jeweils 3 Personen in den Raum gerufen. Das kam mir schon komisch vor. Dann war ich dran. Man legte uns dreien einen Vertrag über den Kauf von Glücksspielautomaten für Uhren vor und drängte auf eine Unterschrift. Wir hatten die Wahl zwischen vier, sechs oder acht. Der feine Herr meinte, die Profis nehmen zehn, das würde sich mehr rechnen. Ich fragte mich, für wen? Ein einzelner Automat kostete komplett, also mit Uhren, rund eintausend Deutsche Mark. Das war sehr viel Geld für einen Arbeitslosen.

Der Spielautomat hatte oben einen sechzig Zentimeter hohen, kastenförmigen durchsichtigen Aufsatz mit verschiedenen Armbanduhren, aller Farben und Formen, mit Leder- oder Metallarmband als Gewinn. Der untere kleinere Teil war aus Metall, versehen mit einem Münzschlitz, einem Drehknopf und einem Ausgabeloch. Im Inneren befanden sich kleine Loskugeln und die Geldkassette, so ähnlich wie bei Kaugummi-Automaten vor Schulen.

Wir sollten diese Geräte eigenverantwortlich in Gaststätten, Kneipen und Klubs aufstellen lassen. Der Gast konnte dann für fünf Deutsche Mark eine Los Kugel ziehen. Der Gewinn war schließlich eine der billigen Armbanduhren aus dem Kasten. Der Nachschub für die Automaten, Lose und Uhren durfte ausschließlich bei der Firma bestellt werden. In Vorkasse versteht sich! Diebstahl oder Beschädigung wäre unser Problem.

Ich fragte nach: Es würden laut Anzeige Betreuer gesucht und keine Käufer? An die Antwort kann ich mich nicht mehr erinnern, nur das ich auf einmal ganz schnell vor der Tür stand. Großartig gelaufen dachte ich noch, aber immerhin war ich so clever und hatte keinen Knebelvertrag unterschrieben. Die Enttäuschung, ohne Arbeit nach Hause zu kommen, schmerzte sehr.

Bahnhofsviertel

Mein Zug sollte um 22:00 Uhr als Nachtzug zurück nach Rostock gehen. Ich brauchte etwas Ablenkung. Deshalb nutzte ich die Zeit, um mir die Sehenswürdigkeiten Frankfurts rund um den Hauptbahnhof anzusehen. Für einen kleinen Imbiss lag noch etwas Geld in meinem Portemonnaie. Also lief ich einfach drauf los.

Weit kam ich nicht, denn zwei nette Mädels sprachen mich an: „Na junger Mann, Lust auf ein Bier? Kostet auch nur drei Mark fünfzig.“ Freundlich wie ich bin und immer bemüht, auf Reisen den Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung zu suchen, um die Sitten und Gebräuche der Eingeborenen zu studieren, willigte ich ein. Die Damen begleiteten mich in eine spärlich beleuchtete Räumlichkeit. Es war kein weiterer Gast im stark abgedunkelten Raum. Sofort war eine gut aussehende Kellnerin da und stellte mir ungefragt das Bier auf den Tisch. Die beiden anderen Hübschen säuselten: „Dürfen wir auch was trinken?“ Das kam mir zwar komisch vor, aber ich antwortete: „Sicher dürft ihr was trinken, wo soll da das Problem sein.“ Schwups standen zwei Schnapsgläser auf dem Tisch. Im selben Augenblick wurde mir die Rechnung präsentiert. Ich hatte bis dahin noch keinen einzigen Schluck von dem Bier genommen, so schnell ging das alles. „Sofort zahlen!“, kam die klare und bestimmte Ansage. Ich konnte im Dunkeln keinen Betrag erkennen. Mit einer Taschenlampe wurde mir erst ins Gesicht und dann auf die Rechnung geleuchtet. Ich dachte, mich trifft der Schlag. Da stand als Gesamtsumme: 223,50 DM.

„Das kann nicht sein“, sage ich „erstens kostet das Bier nur drei fünfzig und für die Damen hatte ich nichts bestellt, schon gar nicht im Wert von hundertzehn Mark pro Getränk.“

Die Beträge der beiden Schnäpse wären klar und deutlich auf der Getränkekarte ausgezeichnet, kam die Antwort zurück. Gleich darauf verschwanden die drei Mädels und ich nutzte die Gelegenheit, einen Blick auf das am anderen Tischende versteckte Blatt Papier zu werfen. Da stand tatsächlich Bier: 3,50 DM, klarer Schnaps: 110,00 DM und es ging hinauf bis zu einer Flasche Champagner für 4000,00 DM. Wie ich noch so dachte, gut, dass die beiden keinen Schampus trinken wollten, traten zwei große kräftige Männer an den Tisch. „Du nicht zahlen willst?“, wurde ich mit slawischem Akzent angefahren.

„Zahlen will ich schon“, antwortete ich mit trockenem Hals „aber, ich habe nicht so viel Geld.“

Ich hatte immer noch keinen Schluck von dem teuren Bier getrunken. „Wie viel du hast?“ „Kann ich nicht sagen, weniger als einhundert Mark.“ „Zeig her und Lederjacke ausziehen.“, kam der Befehl, welcher keinen Widerstand duldete. Ich gab meine Brieftasche und Lederjacke ab und verabschiedete mich schon gedanklich von ihnen. Beide Sachen wurden sorgfältig durchsucht und alles bis auf den letzten Pfennig eingezogen. „Verschwinde, bevor anders überlegen!“ Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Beim Herausgehen wurden mir meine Jacke und die leere Geldbörse hinterhergeworfen.

Nacht in Frankfurt am Main (Foto von Justus Menke auf Unsplash)

Drogen?

Draußen war es nun dunkel geworden. Mein Bedarf an Sightseeing sank auf einen Nullwert. Durstig, hungrig und völlig verstört, schlich ich zurück zum Hauptbahnhof. Was für ein bescheidener Tag. Auf einmal quatscht mich auf der Straße ein junger Mann an: „Hey Du.“ „Wer ich?“ „Pst, nicht so laut.“ Leiser: „Wer ich?“ „Ja, Du! Brauchst Du was?“ Ich schaute ihn irritiert an: „Was soll ich brauchen?“, zweifelnd, dass er mir Geld oder Essen und Trinken anbieten wollte. „Na, was zum Rauchen, Koksen oder zum Spritzen.“, dabei schaute er sich nach allen Seiten nervös um. Mir blieb der Mund offenstehen. Wo war ich hier nur gelandet? Während ich immer noch blöd guckte und nach einer schlagfertigen Antwort suchte, hörte ich Polizeisirenen und Blaulicht zuckte durch die Nacht. Die Straße hinter und vor mir wurde von mehreren Polizeiwagen hermetisch abgeriegelt.

„Scheiß Bullen“ fluchte der Typ und zack weg war er, wie vom Erdboden verschluckt.

Das hatte mir gerade noch gefehlt. Anscheinend sah ich verdächtig aus. So kam es, dass ich zum zweiten Mal an diesem Tag meine Jacke und zusätzlich meine Hosentaschen durchsuchen lassen durfte. Die Beamten fanden eine einzige Deutsche Mark, sonst Garnichts. Enttäuscht ließen sich mich gehen. Ich schlurfte weiter in Richtung Hauptbahnhof. Für mich war ein Wunder geschehen. Ich hatte meine Bahnfahrkarte noch und eine Münze, von der ich bis dahin nichts wusste. Somit konnte ich mir wenigstens am Automaten einen Kaffee für die Heimreise ziehen.

Hauptbahnhof Frankfurt am Main (Foto von Maksym Kaharlytskyi auf Unsplash)

Nichts ahnend, dass mir das Highlight des Abends noch bevorstand, betrat ich das Bahnhofsgebäude. Ich schaute mich suchend um. Wo waren hier die Kaffeeautomaten? Ah, dort. Ich wollte gerade losgehen, als mich ein harmlos wirkender Mann mittleren Alters unvermittelt ansprach. „Kannst Du wechseln?“ In seiner Hand liegen zwei Münzen, Fünfziger. Warum nicht, dachte ich, dem Automaten war es egal, ob eine oder zwei Geldstücke eingeworfen werden. Also gab ich ihm meine letzte Mark. „Vielen Dank“, die Hand schloss sich und der Typ drehte sich um und ging davon. Ich war geschockt und zu keiner Reaktion mehr fähig. Warum musste ausgerechnet mir so etwas passieren?

Als der Zug endlich den Bahnsteig verließ, schwor ich bei allen, was mir lieb und heilig war: In diese Stadt werde ich nie wieder einen Fuß setzen.

Ende Oktober 1990

Titelbild : Foto von Jan-Philipp Thiele auf Unsplash

© 2020 Ingo M. Ebert
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