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Die Antwort zur Frage

Geboren an einem 8.8. in Hamburg und aufgewachsen in einfachen, bürgerlichen Verhältnissen in einem Hochhaus am Stadtrand von Hamburg, galt mein Bestreben zunächst dem Ziel, ohne nennenswerten Aufwand durchs Leben zu kommen.
Ein Vorhaben, das sich bestens bewährte und das ich in Form maximaler Faulheit zu meinem Lebensmotto erhob. Die Daseinsform des größtmöglichen Müßiggangs optimierte ich in den darauffolgenden Jahren ständig und schuf hierin immer wieder neue Superlative.

Irgendwann hatte ich jedoch die Erkenntnis, dass dies zwar ein Lebensmodell ist, das in jungen Jahren durchaus geeignet ist, ein gleichermaßen stressfreies wie freudvolles Leben zu führen, im fortgesetzten Alter jedoch mit finanziellen Problemen einhergehen könnte.
Im Zuge dieser Erkenntnis sah ich mich in Gedanken immer häufiger als Rentner ohne Rente auf einem geliehenen Fahrrad zu einer Tankstelle fahren, um dort auf Basis eines Minijobs verkäuferisch tätig zu sein.

Perspektive

Diese Perspektive schied für mich definitiv aus und vermieste mir ab da meinen Alltag, der bis dato durch gelebte Untätigkeit gekennzeichnet war, die nur durch Vergnügungen unterbrochen wurde.
Ein neues Lebensmodell musste her, und zwar eines, bei dem nur die Parameter „Nichtstun“ und „kein Minijob im Alter“ gesetzt waren. Zumindest perspektivisch.

Mir ist heute noch nicht klar, wie viele Möglichkeiten es bei diesen beiden Voraussetzungen tatsächlich gibt, ich kam damals immer wieder nur auf eine. Nämlich die, in möglichst kürzester Zeit so viel zu verdienen, dass ich so schnell wie möglich wieder faul sein konnte.

Photo by Gaurav Dhwaj Khadka on Unsplash

Als wirklich revolutionär erwies sich dieser neue Gedanke von mir nicht, ebenso zeigte sich schnell, dass ich scheinbar nicht der Erste war, der auf dieses vermeintlich bahnbrechende Zukunftsmodell gekommen war.
Daraus ergab sich, dass ich auf DAS Instrument kommen musste, das mir den Weg dorthin ermöglichte. DAS Werkzeug zum Glück, DEN Türöffner zur Verheißung.
Werkzeuge und Türöffner dieser Art haben es an sich, dass sie Einem weder zufallen noch verordnet werden, und so dauerte es lange, bis ich auf sie kam.
Dafür haben sie sich so in mir manifestiert, dass ich bis heute an ihre Wirksamkeit glaube. Man findet sie auch in einem meiner Zitate und sie lauten:

„Erfolg hat nur zwei Zutaten: Genialität oder Besessenheit“.

Genialität wäre mir lieber gewesen, aber mir war zeitgleich mit meiner Erkenntnis klar geworden, dass ich eindeutig zur zweiten Fraktion gehöre, und ich, sofern ich den verheißungsvollen Zustand eines Alltags ohne Erwerbstätigkeit erreichen möchte, ab nun eine komplett andere Initiative an den Tag zu legen hatte als bisher.
Ich legte also den Schalter um 180 Grad um, und der Rest ist (fast) schnell erzählt.
Meine Karriere in einem großen deutschen Konzern verlief gleichermaßen schnell wie geradlinig und mit Mitte Dreißig wurde ich Prokurist bei einem seiner größten Kunden.
Das Gehalt war hoch, das Auto groß, das Haus auch, und die Scheidung teuer.

das Ziel

Mir wurde klar, ich hatte mein Ziel aus den Augen verloren.
Ich hatte mich verführen lassen und mich in einen Strudel von Annehmlichkeiten ziehen lassen, die mich über all das hinweg trösten sollten, für das ich eigentlich angetreten war.
Aber von dem ich mich immer mehr entfernt hatte.
Ich hatte vermeintlich alles, aber von dem was mir wirklich wichtig war, nichts. Nämlich Zeit.

Photo by Wilhelm Gunkel on Unsplash

Letztendlich brauchte es dann doch einen Auslöser, der mich zum Handeln brachte.
Ich war im Urlaub in Italien, als ich von meinem Bruder vom Tod seiner Tochter kurz vor ihrem 6. Geburtstag erfuhr.
Das war der Tag, der mein Leben veränderte. Für immer.
Auf einmal war alles klar, vor allem der weitere Weg. Der Tod, das Leben, der Inhalt. In aller Klarheit.

Warum hatte es diesen Schicksalsschlag gebraucht, um mich wieder darauf zu besinnen, was mir wirklich wichtig war und wofür ich mein Leben verwenden wollte …

Ich fuhr sofort zurück nach Deutschland und noch vor der Beerdigung kündigte ich meinen ausgezeichnet bezahlten Job.
Ohne etwas Neues zu haben.
Dafür ein exklusives Haus am Münchener Stadtrand, das nach monatlicher Abzahlung rief, plus meinen neuen Wohnraum, der mir ebenfalls nicht kostenlos zur Verfügung gestellt wurde sowie die monatlichen Belastungen rund um eine ebenfalls nicht zum Sonderpreis erhaltene Scheidung.
ABER: ich war frei! Ich spürte, dass es jetzt losging. Zwar noch nicht, womit, aber wenn nicht jetzt, wann dann. Das war DER Moment, auf den ich so lange gewartet hatte!

die Firma

Ich gründete eine Firma und mietete mir in der Nähe ein Blockhaus.
Ich ließ mich dort als Händler nieder und ließ mir von Firmen aus derjenigen Branche, in der ich mein ganzes Berufsleben tätig war, Kundennummern geben.

Ich ließ mir für einen überschaubaren Betrag einen Onlineshop programmieren und verbrachte Monate damit, darin Tag und Nacht Artikel meiner neuen Lieferanten anzulegen, den Shop zu gestalten, seine Funktionen zu optimieren, Gespräche mit Dienstleistern und Logistik-Unternehmen zu führen und legte kurz nach meinem 44. Geburtstag los, in dem ich einen Artikel verkaufte.
Zum Erlös legte ich etwas dazu und kaufte davon zwei Artikel. Von deren Erlös kaufte ich drei, von deren Erlös vier.
Und so weiter.
Mein Handelsgeschäft lief an, ohne Schulden gemacht zu haben.
Und so sollte es immer bleiben, bis ich es als Ausbildungsbetrieb mit 20 Mitarbeitern und einem annähernd 8-stelligen Jahresumsatz knapp 4 Jahre später verkaufte.

Photo by Austin Distel on Unsplash

Dies zu einem Preis, von dem klar war, dass er mir ein Leben ohne jegliche weitere Verpflichtungen ermöglichen würde. Sonst hätte ich es nicht gemacht. Ich war 48 und für den Rest meines Lebens frei.
Und hatte dafür nichts Weiteres getan, als Teil 2 meines Mottos anzuwenden.
Und hatte Besessenheit gelebt.
Wenn man es genau nimmt, hatte ich im Prinzip diese 4 Jahre nahezu komplett in der Firma verbracht. So gut wie kein Urlaub, Wochenende oder Feiertag.
Der stinkend faule Hund als Workoholic mit 90 Stunden-Woche.
Aber er wusste ja wofür und hatte ein klares Ziel vor Augen.
Mit Besessenheit und ohne Schulden eine Firma hoch profitabel machen und sie dann verkaufen.

die Freiheit

Meine daraufhin stattfindende Freiheit dauerte genau ein Dreiviertel Jahr, nämlich bis zu dem Anruf der neuen Inhaber 9 Monate nach meinem Ausscheiden und der Frage, ob ich die Firma zurück geschenkt haben möchte.
Bei Übernahme aller Schulden. Sie sei am Ende.
Ein übermäßiges Beauftrage von Dienstleistern und Beratern sowie hemmungslose Kapitalabflüsse in die eigenen Taschen hatten die ehemals hoch-profitable Firma in den Ruin getrieben.
(Nur am Rande, wäre sie nicht derart hoch-profitabel gewesen, hätte mir niemand den Preis für sie gezahlt, den ich für sie erhalten habe).
Ich ließ mir die aktuellen Zahlen geben, die jedoch ein derart düsteres und aussichtsloses Bild zeichneten, dass ich ablehnte.
Am Tag darauf ging die 6 Jahre vorher von mir unter Gründungsschmerzen an den Start gegebene Firma insolvent.

Die Insolvenz riss auch die Firma der neuen Inhaber mit in den Abgrund.
Und mit ihr eine Forderung an selbige, die ich an sie noch hatte.
Die dritte Kaufpreis-Rate, die schon lange fällig gewesen war und deren Verschiebung ich angesichts der prekären Situation der Firma immer wieder zugestimmt hatte.
Obwohl ich damit über Nacht einen Betrag in der Größenordnung von 3 Porsches verloren hatte, litt ich viel eher darunter, dass nun all die Menschen, die ich in den Jahren vorher persönlich eingestellt hatte, nun in die Arbeitslosigkeit rutschten, und dies nur, weil die neuen Betreiber die Firma finanziell ausgeblutet hatten.

Ich beschloss, diese Menschen wieder einzustellen.
Ich kaufte aus der Insolvenzmasse meinen alten Firmen-Kern und nach einem Dreiviertel Jahr harter Vorbereitung ging ich mit meiner alten Stamm-Mannschaft erneut an den Start.

Photo by Austin Distel on Unsplash

Und als ob es auch darum ging, zu beweisen, dass die Insolvenz meiner verkauften Firma völlig unnötig und nur durch die maßlose Gier der neuen Inhaber verursacht war, wurde die zweite Firma noch erheblich erfolgreicher als die erste.

Vielleicht auch deswegen, weil ich noch eine Spur besessener war.
Auf jeden Fall erfahrener und effektiver.
Und Menschen an meiner Seite hatte, für die ich durchs Feuer gegangen wäre und sie für mich.

3 Jahre nach ihrer Gründung habe ich Teile der Firma verkauft, sie in gute Hände übergeben und schied aus.

die Gegenwart

Heute bin ich an dem Punkt, von dem ich ganz am Anfang erzählt habe.
Ich bin in der glücklichen Situation, jeden Tag aufs Neue entscheiden zu können, was ich machen möchte. Zum Beispiel zu schreiben.
Oder faul zu sein und seinen Gedanken nachzuhängen. Und all das, was dabei passiert, aufs Papier zu bringen.
Viel zu reisen, viel zu sehen, viel zu erleben. Auch all das textlich zu verarbeiten.

Wer bis hier aufmerksam dabei war, hat spätestens jetzt erkannt, wenn es der Hochhaus-Junge mit seinem schlechten Realschulabschluss schafft, sein Lebens-Ziel zu erreichen, dann kann es jeder.
(Selbstverständlich nur, wenn er das Motto des Hochhaus-Jungen anwendet 🙂 …

Ich bin keineswegs der Meinung, dass dieser Lebensweg der allein selig machende ist.
Lebenswege und Lebensziele sind so unterschiedlich wie die Menschen selbst.

Wer jedoch den Wunsch und das Ziel hat, sich früher als dem Rentenalter mit anderen Dingen als der Arbeit zu beschäftigen (wobei ich das nicht als Wertung verstanden haben will; ich bewundere Menschen, die noch im hohen Alter mit absoluter Leidenschaft ihrer Berufung nachgehen!), dem wollte ich hiermit einfach 2 Dinge vermitteln:
einerseits wenn Einer wie ich ohne besondere Voraussetzungen es schaffen kann, es jeder schaffen kann, und zum anderen, welche Eigenschaften aus meiner Sicht hierfür Voraussetzung sind.

Mein Wunsch

All Denen, die diesen Weg vor sich haben, wünsche ich dabei alles Gute und bestes Gelingen. Und vergesst dabei nie:
Natürlich, Netzwerk ist gut, Weiterbildung und Coaching sind unverzichtbar, Kontakte sind unerlässlich, aber das Allerwichtigste von Allem hast Du in Dir:
die Kraft, das zu erreichen!

Allein schon, dass Du daran denkst und dieses Ziel hast, beweist schon, dass Du die Kraft und die Fähigkeiten IN Dir hast, es zu erreichen.

Dafür, dass es Dir gelingt, sie abzurufen und für Dich in Richtung Erreichung Deines Lebenszieles umzumünzen, dafür drücke ich Dir ganz ganz fest die Daumen und wünsche Dir dafür alles Gute!!

März 2021

Titelbild: Photo by diedymus on instagram

© 2021 Dietmar Rinke
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Autoren wiedergegeben werden.

Liebe Leser, das Jahr 2091 wird in die Geschichte eingehen.

Da bin ich mir sicher. Ich sitze im Emirates-Shuttle zum Mond. Erst heute wurde die Frequenz zwischen Dubai-City und Lunai-City auf zweimal täglich erhöht. Der Bedarf war sprunghaft angestiegen, nachdem Dubai die nicht verkauften Luxushäuser und Wohnungen seinen Angestellten und Mitarbeitern kostenlos zur Verfügung gestellt hat. Es ist alles inklusive, sogar die Mitgliedschaft im größten Fitnesscenter des Mondes. Nein, ich habe leider keine Immobilie auf dem Mond erhalten.

Dieses Mal bin ich aufgeregt, wie nie zuvor, obwohl es nicht meine erste Dienstreise zum Mond ist. Wird mich der 1. Administrator empfangen und was noch viel wichtiger ist, wird er von meiner Idee begeistert sein?

Ich muss etwas ausholen, damit die Tragweite meiner Reise allen Lesern bewusst wird.

Rückblick

Die Welt hat sich in den letzten siebzig Jahren sehr verändert. Der immer noch andauernde Handelskrieg zwischen den USA und China hat die beiden ehemaligen Industrienationen an den Rand der Katastrophe gebracht. Dieses Machtvakuum nutzten Indien und die neu gegründete Afrikanische Union zu ihrem Vorteil. Die Welt ist neu aufgeteilt. Europa ist als Kolonie Afrikas nun das Armenhaus der Welt. Bewaffnete Konflikte, Hunger und Krankheiten lassen die Einwohner nicht zur Ruhe kommen. Flüchtling-Ströme in Richtung Osten sorgen für ein Ausbluten des Kontinents, während Indien weite Teile Asiens beherrscht. Nord- und Südamerika sind von Grönland aus in das dänische Königreich integriert worden. Die Vereinigten Arabischen Emirate verhalten sich neutral und sind darüber hinaus, führend in der Erschließung des Sonnensystems. Der Streit und Neid zwischen den Völkern haben immer noch nicht aufgehört.

Die überforderten Regierungen schüren weiter diese Zwistigkeiten, um von ihren Unfähigkeiten, die Probleme zu lösen, abzulenken. Aber es gibt auch Gutes zu berichten, wie zum Beispiel der gelebte globale Umweltschutz oder die Besiedelung des Mondes.

Foto: Lunai-City (privat)

Der Grundstein wurde 2020 gelegt, als die VAE ihre erste Mondmission startete. Inzwischen ist Lunai-City doppelt so groß wie Dubai-City. Die Bauwerke sind dank der geringen Schwerkraft auf dem Mond noch höher und futuristischer als auf der Erde. Die Architekten wollen alles auf der Erde jemals Gebaute in den Schatten stellen.

Lunai-City

Der 1.Administrator ist der älteste Sohn des Scheiches von Dubai. Er regiert die Stadt mit großer Umsicht und Gerechtigkeit. Seine zweite Leidenschaft nach dem Kamelrennen ist, was die wenigsten wissen, das Fußballspiel. Da werde ich ansetzen. Die letzte Fußball Großveranstaltung war die Weltmeisterschaft 2022 in Qatar. Danach gab es zwar viele weitere Versuche, eine Weltmeisterschaft erneut auszurichten, aber sie scheiterten immer am Geld, an den Gesundheitsvorschriften, an der Uneinigkeit der Länder sowie Verbände oder an allen dreien.

Die regen Bautätigkeiten und der erhöhte Verkehr im stellaren Raum waren bei den Nachbarn auf dem Mars und der Venus nicht unbemerkt geblieben. Bevor die Menschen, die sich seit Generationen gut versteckten Mars-Männchen aufspürten, entschlossen sie, selbst den ersten Kontakt herzustellen. Und ein halbes Jahr später, als die vermeintliche Katastrophe in den planetaren Beziehungen ausgeblieben war, meldeten sich die ausschließlich weiblichen Bewohnerinnen der Venus. Von diesen Schock hatten sich die Menschen nicht so schnell erholt. Auf einmal waren wir nicht mehr allein im Sonnensystem. Selbst auf dem Jupiter und dem Saturn gab es humanoides Leben.

Doch eine Sache wurde auf allen Planeten des Sonnensystems schnell zum Volkssport, der Fußball.

Wer hätte das gedacht!

Die Wundertechnik der Fußball-Arenen konnte zwar jede Atmosphäre und Gravitation der einzelnen Planeten nachempfinden, aber nicht miteinander mischen.

Deshalb hat jeder Himmelskörper nur seine eigenen Ligen. Keiner spielte gegen die anderen. Die Venus hat nur Frauen-Mannschaften. Es gibt zwar einzelne Gastspiele mit hohem Unterhaltungswert. (Wer schon mal die Riesen vom Jupiter hat spielen sehen, versteht, was ich meine.) Aber es gibt keine Sonnensystemliga oder Meisterschaft.

Die Idee

Und genau das will ich dem 1. Administrator schmackhaft machen. Die erste Sonnensystem–Meisterschaft im Jahre 2121. Ja, ich weiß, das ist noch lange hin, aber man bedenke die umfangreiche technische Vorbereitung und die Einigung auf ein allseits akzeptiertes Reglement. Zusätzlich kommen dann die vorbereitenden Spiele zur Qualifikation der sieben Mannschaften von jedem einzelnen Planeten dazu. Ich hatte mir sieben Mannschaften überlegt, wegen der Kontinente auf der Erde. So hat jeder Kontinent die Möglichkeit seine eigene Meisterschaft auszutragen, um die begehrten Plätze in der Solar Championship Football zu ergattern. Außerdem verspreche ich mir persönlich davon, dass die Welt im sportlichen Wettkampf um die Teilnahme an den Endspielen befriedet werden könnte.

Das absolute Highlight wird das gigantische Endspiel auf dem Mond in Lunai-City sein und die damalige Weltmeisterschaft in Qatar um ein Vielfaches an Glamour überflügeln.

Mein Chef ist von dieser Idee so begeistert, dass er mir sogar einen Flug in der First-Class gebucht hat. Das er die exklusiven Übertragungsrechte haben will, versteht sich von selbst.

Flug zum Mond

Der Flug zum Mond ist für mich immer noch spektakulär. Ich buche stets einen Fensterplatz, damit ich den Moment, wenn wir die Lufthülle verlassen, beobachten kann. Dann bin ich wie betäubt von der Schönheit unseres Planeten. Mitte des 20. Jahrhundert hatten wir ihn fast zerstört. Es waren die Kinder in dieser Epoche, welche nicht mehr tatenlos zusehen wollten, wie die Eltern die Erde misshandelten. Gerade noch rechtzeitig, denn es war damals allerhöchste Zeit.

Photo by WILLIAN REIS on Unsplash

Ich nutze die Phase des Fluges, mich auf das Gespräch vorzubereiten. Welche Fragen würde der 1. Administrator stellen? Welche Gegenargumente gilt es zu entkräften. Die Kosten würden keine Rolle spielen, da bin ich mir sicher. Eher gibt es technische Bedenken. Wie kann man ein faires Spiel der von Natur aus unterschiedlichen Körpergrößen garantieren Welche Atmosphäre und welche Gravitation Stärke wäre für alle Planeten akzeptabel?

Die Frage aber, die jeden bewegt: Wie kommt man auf so eine Idee?

Das ist schnell erzählt. Mein Freund Eugen und ich schauen oft zusammen im Pub Fußballspiele. Vor einem halben Jahr sahen wir ein Deutschland-Spiel im Nationencup. Die Mannschaften spielten so unterirdisch, dass ich mich zu folgender Aussage hinreißen ließ: selbst eine Regionalliga-Mannschaft auf dem Mars würde den letzten und aktuellen Weltmeister schlagen. Das wollte und konnte Eugen einfach nicht im Raum stehen lassen. So ist die Idee der Solar Championship Football entstanden.

Nächste Woche fliege ich zur Venus. Da gibt es noch viel zu tun, um die Kanzlerin von dem Projekt zu überzeugen.

Oktober 2020

Titelbild: Photo by Michael on Unsplash

© 2021 Ingo M. Ebert
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Autoren wiedergegeben werden.

Die wahre Geschichte

In der zweijährigen Ausbildung zum Reiseverkehrskaufmann arbeitete ich bei drei verschiedenen Busreiseveranstaltern: Tommis Top Tours, Wolters Bustouristik und PTI Panoramica Touristik International. Letzterer wollte mich nach der Ausbildung nicht übernehmen, ich war seiner Meinung nach zu schlau für den Job.

So war meine erste Arbeitsstelle ein kleines Reisebüro in Groß Klein, einem Stadtteil von Rostock. Wir verkauften dort Pauschalreisen, Ferienhäuser, Busreisen und Fährtickets. Meine Idee, eigene Busreisen zu organisieren, unterstützte mein Chef von Tukan Reisen GmbH und so durfte ich einige Touren ausarbeiten. Leider war die Nachfrage gering und es fanden nur zwei Reisen im Oktober 1993 in die Rhön statt. Die Erste verlief ohne nennenswerte Komplikationen u. a. mit dem Besuch des Klosters auf dem 928 m hohen Kreuzberg. Von seinem Gipfel eröffnet sich der Rundblick weit in das fränkische Land, die Hessische Rhön, den Thüringer Wald und den Spessart. Von 1681 bis 1692 errichteten dort die Franziskaner die heutige Wallfahrtskirche zusammen mit einem Kloster und um 1731 eine Klosterbrauerei. In der Kirche soll sich ein Fingerknochen von Jesus oder einem anderen Heiligen befinden, kann mich nicht mehr so genau daran erinnern.

Die Busreisen

Wie gesagt, die erste Tour verlief ohne große Probleme. Eine Woche später hatten wir die gleiche Fahrt noch einmal. Bei der Anreise standen wir schon mal vier Stunden im Stau. Der Busfahrer kannte einen Schleichweg, der sich als Grenzweg der DDR herausstellte und so fuhren wir im Schritttempo über holprige Betonplatten endlose zwei Stunden durch den Wald, mit der Angst im Nacken vielleicht stecken zu bleiben oder eine liegen gebliebene Mine zur Detonation zu bringen. Zum Glück haben wir unser Hotel ohne weitere Zwischenfälle erreicht.

Die gemütliche Wanderung

Am zweiten Tag war laut Programm der Besuch des Klosters geplant. Es war schon weit nach Mittag und wir hatten von unserem Ausgangspunkt Ostheim an der Rhön die Anfahrt zum Kreuzberg erreicht. Bei der Raucher- und Würstchen – Pause entdeckten ein paar Gäste einen Pilgerpfad, nur sechs Kilometer bis zum Kloster.

Foto: Klosterkirche (privat)

Da dieser hier am Parkplatz sehr breit und befestigt war und nur leicht anstieg, ließ ich mich zu einer „gemütlichen Wanderung“ nach dem langen Sitzen während der Anfahrt überreden.

Noch schien die Sonne, aber der Himmel zog sich schon langsam zu.

Der Pilgerpfad wurde immer unwegsamer, enger und steiler, je näher wir in Richtung Gipfel kamen. Nach ca. zwei Stunden waren wir oben angekommen, um dann vor einem geschlossenen Klostertor zu stehen. Seit wann machen Klöster Betriebsferien???

Die Gäste waren richtig sauer und meine Entschuldigung, ich wäre vor einer Woche hier gewesen und da waren noch keine Ferien angekündigt, ließen sie nicht gelten. Zum Glück war die Klosterbrauerei geöffnet und ich habe den gesamten Bus zum Kaffee und Bier eingeladen.

Foto: Klosterbrauerei (privat)

Der Abstieg

Nun war es bereits später Nachmittag und es wurde langsam dunkel. Die Gäste weigerten sich, den steilen Abstieg des Pilgerpfades zurückzunehmen. Laut Aussage des Wirtes gäbe es einen weniger beschwerlichen Pfad zum Parkplatz. Also machten wir uns in der mittlerweile aufgekommenen Dunkelheit und bei Nebel auf dem Weg. Aber wir fanden nicht den richtigen Abzweig und so standen wir nach einer Stunde durch den Wald an einer Absperrung zu einem Funkturm, kein Weiterkommen hier! Also wieder zurück. Nach einer halben Stunde kreuzte unseren Weg eine Schleifspur. Hier hatten die Waldarbeiter Holz aus dem Wald geholt.

Aus meiner Erfahrung schleifen die Forstarbeiter immer die Bäume in Richtung Straße, wo es später abtransportiert werden kann. Also folgten wir dieser Spur bergab. Nun waren die ersten Ausfälle zu beklagen. Mit großen Überredungskünsten (eine ältere Dame wollte lieber hier und jetzt sterben, als weiter durch den Wald zu irren) und mit teilweiser Gewalt (ein Mann wollte mich schlagen, weil ich keine Pause zuließ), trieb ich die Meute den Berg runter. Nach zwei weiteren Stunden erreichten wir tatsächlich eine Straße. Es war stockfinster und absolut still, man konnte nicht erkennen, in welche Richtung es bergab oder bergauf ging.

Die richtige Entscheidung

Eine Entscheidung musste her und ich entschied mich für den rechten Weg, nach rechts. Nach zehn Minuten ging die Straße bergab, wir also liefen nicht zum Gipfel zurück. Gott sei Dank! Aber ob der Parkplatz vor oder hinter uns war, wusste ich immer noch nicht. Ich hatte die Hoffnung, wenn wir auf der Straße sind, dass vielleicht ein Auto kommt. Kam aber keines! Zum Glück hatten wir nach einer weiteren Stunde Marsch auf der Straße tatsächlich unseren Parkplatz erreicht. Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie erleichtert ich war. Erst mal eine Runde Getränke ausgegeben und ab in Richtung Hotel, wo es tatsächlich kein Essen mehr für uns gab. Die Küche hatte geschlossen. Aber es hatte sowieso niemand Hunger, so fertig waren alle.

Nach dem Duschen lag ich auf meinem Bett und bewunderte die Blasen an den Füßen. Es klopfte an der Tür …. Diesen Teil kennt Ihr ja schon. Ich konnte jedenfalls nicht mittanzen und war froh, wieder in meinem Zimmer angekommen zu sein, wo sich meine geschundenen Füße erholen konnten!

Hinterher haben alle über diese Tour gelacht. Nur mein Chef fand das gar nicht lustig. Er hat mir obendrein noch die Spesen eigenhändig in Rechnung gestellt!

Die Kunden sind später tatsächlich wieder gekommen und haben nach Reisen mit mir als Reiseleiter gefragt. Wer hätte das gedacht! Aber für mich war diese Tour die letzte gewesen. Unser Büro wurde geschlossen, mein Chef war bankrott.

Böse Zungen behaupten, es wäre meine Schuld, vor allem, weil ich später noch zwei weitere Pleiten meiner Arbeitgeber erleben durfte. Aktuell arbeite ich bei der TUI Deutschland, welche dank Staatshilfen weiterhin am Leben ist.

Ich schwöre, meine Schuld ist es nicht!

April 2021

Titelbild: Ingo M. Ebert (privat) – Kreuze und Funkturm auf dem Kreuzberg/Rhön

© 2021 Ingo M. Ebert
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Autoren wiedergegeben werden.

für meinen Opa Lothar (Trauerrede)

Hallo Opa, hast du kurz etwas Zeit?
Mir liegen paar Dinge auf dem Herzen, aber ich denke, ich wäre jetzt so weit.
Unser letztes richtiges Gespräch ist schon einige Zeit her,
deshalb fiel mir passende Worte zu finden wahrlich schwer.
Meine Worte zu dir sollen nämlich was ganz Besonderes sein
und hoffe, du wirst alles gut verstehen, auch wenn ich eventuell anfang zu weinˋ.
Das kleine Mädchen, das immer für deine Späße zu haben war, die in den letzten Jahren jede Chance nutzte, sie war wirklich so oft es ging da, du wusstest es vielleicht nur nicht.
Genau die steht nun hier und denkt an dich.
Und sie wusste, dass deine Erinnerungen an sie immer mehr verblassen,
aber ihren Opi Lothi hat sie nie aus ihren Gedanken gehen lassen.
Das kleine Mädchen, das sich aus allem ein Späßchen machte
und auf deine Kosten Oma Ute zur Weißglut brachte.
Weißt du es noch oder soll ich dir es noch einmal erzählen?
Denn du solltest fürs Abendessen in den Keller und zwei Einmachgläser Bohnen wählen.
Unten angekommen, war es eigentlich schon klar,
die Sicherheit, was genau du holen solltest, war nicht mehr da.
Und weil es mit dir so lustig war, konnte man sich einen Spaß erlauben,
als du fragtest, was wir hier unten wollen, ließ ich dich einfach was anderes glauben.
Ich musste mich vor Lachen zusammenreißen, die Oma fand es eigentlich recht schade,
sie schickte dich dann zurück mit dem Glas Marmelade.
Das kleine Mädchen, dass hinten im Auto mit ihrem Bruder zankt und deine Nerven strapaziert,
es hat zwar immer etwas gebraucht, aber irgendwann bist selbst du eskaliert.
Du warst derjenige, der immer auf Trab war und ihr die Welt zeigte,
na ja zumindest so weit, bis sich dann die Tankfüllung zu Ende neigte.
Unendlich viele Museen, manchmal total interessant, zuweilen waren wir nur am Klagen,
im Nachhinein muss ich einfach mal Danke sagen.
Du warst es, der dem kleinen Mädchen die Welt erklärte,
du warst ihr Entertainer, Chauffeur und Naturexperte.
Der Opi Lothi lies sich natürlich nicht lumpen,
spontan neue Tierarten in die Welt zu setzen, hat noch keiner für schlecht empfunden.
Denn mein Opa ließ öfter beim Spazieren gehen, einen fahren…
bis vor paar Jahren habe ich immer noch geglaubt, dass es Trompetenkäfer waren.

Foto: Lothar Ebert 30.09.2017 (privat)

Als Chauffeur warst du auch recht spitze, manchmal klemmte es ein wenig, aber du konntest nichts dafür,
lieber Opa,… das waren meine Finger in der Autotür.
Als Oma dann ging, habe ich die Zeit mit dir noch mehr genossen,
wenn Mama dich besuchen wollte, bin ich als erste mit ins Auto geschossen.
Weißt du noch? Das kleine Mädchen, das immer versucht hat, deine Gespräche zu verstehen?
Bis zum Schluss ist sie mitgekommen, um dich zu sehen.
Das kleine Mädchen, das im Garten alle deine Erdbeeren aß
und ab und an die markierten Wege im Gemüsebeet vergaß.
Ich besuche dich, du siehst mich an und ich weiß, du erkennst mich nicht,
„Hallo Opa, das kleine Mädchen bin ich“.
Ich bin jetzt fast erwachsen Opa und ich weiß, du hättest es gerne miterlebt,
aber ich bin mir sicher, dass es dir dort oben besser geht.
Ich weiß, du hast jetzt all deine Erinnerungen wieder und es geht dir Prima,
du hast sie eigentlich nie vergessen, deine Melina.
Du wusstest zwar am Ende nicht mehr, wer ich bin, aber ein Lächeln war immer für mich drin.
Danke, Opa für die schönen Momente in meinem Leben,
nur wenige schaffen es mit dem nötigsten so viel zu geben.
Mama und ich hielten dir zuletzt die Hände,
Auf Wiedersehen Opa, deine Reise hat nun ein Ende.
Grüß mir die Oma und leg ein gutes Wort für mich ein bei Gott und den guten Geistern,
ich würde nämlich gerne mein Abitur mit einem Einsers Schnitt meistern.
(Ich hoffe, du kannst da was machen!)
Jetzt hast du alles im Blick und darfst auf deine Lieben warten,
mach’s dir gemütlich oben im Himmelsgarten.
Dir zu ehren geht der letzte Ruf raus in Sachsenbrunn unserer City:
„Komm her, Kitty Kitty Kitty!“

Titelbild: Foto Privat

© 2021 Melina-Marie Jahnel März 2021
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk (Text) darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung der Autorin wiedergegeben werden.

Es klingelt an der Tür. Alle zucken zusammen. Die Katze flitzt wie ein Blitz ins Schlafzimmer unter das Bett. Sie weiß, wer gleich erscheint.

Einmal im Monat kommt Tante Hermine zu uns zum Kaffeetrinken. Davon kann sie kein Schneesturm, kein Wolkenbruch, keine Hitzewelle und schon gar nicht ein Lockdown abhalten. Meine Mutter hat wie immer den ganzen Vormittag mit Putzen und Backen zu gebracht. Selbst ich muss wenigsten einmal im Monat mein Zimmer aufräumen, Staubwischen und den Teppich absaugen.

Mama ruft aus der Küche: „Matthias, vergiss bloß nicht, deine Schmutzwäsche in den Korb zu stecken.“ Ich verdrehe die Augen, murmele „Ja,Ja.“ Und denke, als ob die blöde Kuh im Abstellraum meine Schmutzwäsche kontrollieren würde.

Tante Hermine ist schon immer pingelig gewesen, aber seit dem der Virus uns fest im Griff hat, dreht sie völlig am Rad. Obwohl alle Räume bereits Corona konform desinfiziert wurden und wir alle seit 10 Uhr morgens mit Mundschutz in der Wohnung rumlaufen, wird Tante Hermine, bevor sie sich an den Tisch setzt, alle relevanten Flächen mit ihren mitgebrachten Desinfektionstüchern sterilisieren. „Sicher ist sicher!“, sagt sie und reißt zusätzlich alle Fenster auf.

Dieses Wochenende jährt sich der verschärfte Kaffeeklatsch. Die Nerven liegen inzwischen blank. Am Anfang fanden wir es noch lustig, wenn sie vor dem Essen die Kuchengabel desinfizierte oder das Sitzkissen in der Mikrowelle 5 Minuten garen musste.

Vater öffnet die Wohnungstür.

Sie rauscht mit einem „Hallöchen!“ gleich durch ins Bad, Händewaschen. Ich versuche wie immer verzweifelt: „Darf ich…“ „Nein!“, unterbricht mich meine Mutter. „Mach bitte die Schlagsahne und vergiss nicht, die Maske über die Nase zu ziehen. Tante Hermine sieht alles!“

Widerwillig schlurfe ich in die Küche, wo es wie in einem Großlager für Desinfektionsmittel riecht.

Der Kaffee blubbert durch die Filtertüte. Wie ich diesen Filterkaffee hasse, Erdöl ist sicherlich schmackhafter. Wenigsten kämpft nun der Kaffeeduft gegen den Desinfektionsduft an. Ein Vorteil hat aber die Pandemie, ich bekomme jetzt kein Begrüßungsschmatzer mehr. Ich grinse vergnügt vor mich hin.

Inzwischen sitzt Tante Hermine am frisch desinfizierten Tisch und regt sich über die Zustände im Bus auf. Taxi fahren kommt nicht infrage, dafür ist sie zu geizig. Stolz erzählt sie, wie sie die leeren Sitzreihen vor, hinter und neben sich gegen den Pöbel verteidigt hat, obwohl der Bus am Samstagnachmittag brechend voll war.

Ich sehe vor meinem geistigen Auge, wie Tante Hermine mit dem Krückstock die verschreckten Menschen in Schach hält. Widerstand zwecklos!

Der Kaffee wird eingeschenkt, der Kuchen mit dem silbernen Tortenheber verteilt. Vater steht noch einmal auf. Er hat das Mineralwasser vergessen.

Tante Hermine zieht nun ein weiteres Desinfektionstuch aus der sterilen Verpackung und beginnt hektisch die Fläche vor sich wiederholt zu reinigen. Der strenge Geruch der Desinfektionslösung verdrängt nun endgültig den Hauch von frisch gebrühtem Bohnenkaffee und warmen Apfelkuchen.

Danach wischt sie zwischen unseren Tellern hin und her. Mutti hat die Kuchengabel hoch aufgerichtet in der Hand. Sie starrt die Tante an, als ob sie es noch immer nicht glauben kann, was sie gerade sah.

Die glänzend weiße Vase aus Meissner Porzellan mit den gelben und roten Tulpen schwankt gefährlich, als der Unterarm von Hermine das Grün streift.

Plötzlich aus dem Ellenbogengelenk heraus, wie wenn man eine lästige Fliege verscheuchen will, fliegt Mamas Arm zur rechten Seite. Und die Kuchengabel dringt mit einem schmatzenden Geräusch bis zum Anschlag in Tante Hermines linkes Auge ein. Ihre Wischbewegungen erstarrten in derselben Sekunde. Das rechte Auge klotzt auf das silberne Gabelende in der linken Gesichtshälfte. Der Oberkörper knallt ungebremst auf die Tischplatte. Die Blumenvase fällt um. Das Wasser vermischt sich mit dem hellroten Blut, welches aus der Augenhöhle strömt. Die Flüssigkeit schwappt über die Tischkante.

In diesem Moment tritt Vater vom Kühlschrank zurück an den Tisch. Die Flasche kaltes Mineralwasser entgleitet seiner Hand, zerschellt auf den Bodenfliesen.

Mutti erwacht aus ihrer Starre. Langsam dreht sie den Kopf zur Seite, betrachtet die tausend kleinen Glassplitter in der Lache auf dem Boden. Schüttelt vorwurfsvoll ihr Haupt: „Was für eine Schweinerei!“

März 2021

Titelbild: Photo by Lina Volkmann on Unsplash

© 2021 Ingo M. Ebert
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk (Text) darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Autoren wiedergegeben werden.

Kleines Kaff, komischer Kauz, kahlköpfig. Kaffeebraunes Kapuzen-T-Shirt kleidet kümmerlichen Körper.

Konsumiert kleinbürgerliches Kabelfernsehen.

Kanzlerkandidat kopiert Komiker.

Kontraste, Kochshow, Kammermusik, Kadaver kreischen!

Küchenausstattung:

Küchenschrank, Kühlschrank, Kommode, Kaktus. Küchentisch kleinkariert, kurioses Kabuff!

Klammer Kontostand konstruiert katastrophale Küchenkrise.

Killt Kakerlaken, kleinere Kreaturen komplett.

Karl Krause klotzt Kochkanal: körniger Käse kontra Kalbsleberwurst

                                               Kochschinken kontra Kohlrabi

                                               Kesselgulasch kontra Karottensalat

                                               Kartoffelpüree kontra Kartoffelmus

                                                Kapitalismus kontra Kommunismus

Kühlschrank knackt, kaputt! Kräuterlikörduft kondensiert.

Kaffeepause:

Kornbrand, kalter Kaffee, knabbert Kohlblätter.

Kochstudio: Küchenchef kocht Kulinarisches. Kalbsteak kurzgebraten, Kapern kleinhacken, Kaviar kunstvoll krümeln, Kürbiskerne karamellisieren.

Kaut krachend Knäckebrot, Ketchup kleckert, Karl kichert kindisch.

Knackig, knusprig, kross, kompromisslos – Kulturgut Knäckebrot!

März 2021

Titelbild: Knäckebrot im Vergleich | NDR.de – Ratgeber – Verbraucher

© 2021 Ingo M. Ebert
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk (Text) darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Autoren wiedergegeben werden.

Foto: Power-Knäckebrot (www.lecker.de)

Mein Tipp:

Power-Knäckebrot

Zutaten:
140 g  fettreduzierter Frischkäse (0,2 % Fett) 
Salz + Pfeffer
1 Bund  Radieschen  
8 Scheiben (à ca. 17 g) Vollkorn Knäckebrot
160 g  gekochter Schinken
1  Beet Gartenkresse
4 EL  Radieschensprossen 

Zubereitung:

Frischkäse glattrühren. Mit Salz und Pfeffer würzen. Radieschen waschen, putzen und in dünne Scheiben hobeln. Knäckebrote jeweils mit 1 TL Frischkäse bestreichen. Radieschenscheiben und Schinken darauf verteilen. Kresse vom Beet schneiden. Brote anrichten. Mit Kresse und Sprossen bestreuen.

Fertig und genießen!

Quelle: Power-Knäckebrot Rezept | LECKER

für Mutter

Unbeholfen stehe ich an Deinem Bett in diesem Heim,
man hat mich gerufen, es gehe Dir schlecht.
Niemand, der diese Routinen hier checkt,
weist mich ein.
Es ist spät, ich landete in der Nacht, kam hierher,
wo Du seit Jahren lebst, mit dem Taxi, diesen Weg zu diesem Ort,
ich kenn ihn nicht mehr,
zu lange schon fort.
Der Ort, wo nun Dein Leben verrinnt,
die Stätte, wo auch meine Wurzeln sind,
ist mir heute fremd.
Alles das spielt keine Rolle, ich bin da, wenn auch spät
und auch wenn es in mir brennt,
verdräng ich die Erkenntnis, dass ich mich nicht zurechtfand,
dort, wo am Stadtrand
Dein Leben stattfand,
ich mich im Kreis
drehte, dort, wo Du Deinen Alltag verbrachtest in all den Jahren,
über die ich wenig weiß.

Du, die stolze Frau, die Du liegst, vor mir, hier,
hilflos mit deinem Blick zu mir,
du liegst da,
an nur eine Windel, aber doch so reich,
ein erfülltes Leben, dieses Bild wird mir klar,
als ich dir über deine dünn geword‘nen Haare streich‘.
Früher gabst Du, heute lebst du vom Nehmen,
von Themen,
die zu dir führ‘n und dich berühr’n.
Ich bin kein Meister von Gesten und Zeichen
aber gebe mein Bestes, dass Dich meine erreichen.

Ich weiß nicht, ob Du mich hörst, ich weiß nicht, ob Du mich verstehst
und ich weiß nicht wohin Du gehst.
Der Geist von früher ist noch immer hier, er vertritt dich in Momenten,
in denen es Dir nicht mehr möglich ist,
in denen Du vieles vergisst
und in Fragmenten
sprichst.

Dir verdanke ich meine Existenz,
du schenktest sie mir,
es fällt mir schwer, hier neben dem Bett von Dir
in Deiner Präsenz
diese Kraft und Stärke zu erkennen, doch zuvor
war sie da und sie brachte mich hervor.
Heute schaue ich in dein fahles Gesicht, einen Spiegel ohne Antworten,
und es spricht von Deinem heutigen Sein an fernen Orten
Ich erkenne daran wie das Leben sich dreht,
wie die Stärke vergeht, während Größe besteht,
wie Blöße entsteht, wenn der Wind der Vergänglichkeit weht.
Das ist das, was mich bewegt,
während ich dir Essen gebe
und dich anders rum lege,
damit es dir etwas besser geht.

Von Dir kaum eine Regung,
und ich spüre, dies ist unsere letzte Begegnung.
Geheiligt und für immer in mein Herz gemeißelt sei dieser Moment,
vehement
für alle Zeit in mir verewigt,
eingefangen in einen Hauch, der Unendlichkeit predigt,
und von dem ich grad spür, dass genau er als Protagonist
der Ursprung allen Lebens ist.
Die Intensität dieses Moments ist derart stark,
dass ich für immer in mir das Wissen trag,
ich mir jederzeit alles von ihm ins Bewusstsein zu rufen vermag,
alles dieses Moments, Du, Deine Blicke, Dein Geruch, dieser Raum, dein verschmähtes Getränk,
das Buch neben Dir, mein nicht beachtetes Geschenk,
meine Fußspuren in Deinem Zimmer,
alles davon ist in mir für immer.

Während sich all dies in mein Innerstes bohrte,
schließe ich Dich in dem Bewusstsein des letzten Males in meine Arme, halte Dich fest und sage Dir magische Worte.
Als du sie wiederholst, obwohl eher mechanisch als authentisch,
und eher allgemein
und in Dich hinein
schlägt es in mir ein.
Mich überkommen Unmengen von Empfindungen und auch wenn ich fühle
dass ich Dich mit meinen Emotionen aufwühle,
kann ich sie nicht überbrücken,
geschweige denn unterdrücken,
nichts von Beidem will mir glücken
und so fließen in großen Stücken
vorbei an Deinem Schopf
Unmengen plötzlicher Tränen in das Kissen unter Deinem Kopf.

Du liegst starr da, ob Du all das wahrnimmst, was in mir brennt
und nach außen drängt,
ich weiß es nicht, und wenn, dann nur latent
und für diesen Moment;
es scheint, diese Nähe ist Dir fremd,
denn Du wirkst gehemmt,
während Tropfen um Tropfen in Dein Kissen rennt.

Du gabst einst mich frei, als ich nicht blieb,
heute tue ich es, und so darfst Du jetzt, wo Dein Stern verglüht
und Deine Quelle versiegt,
dorthin gehen wohin es dich zieht.

In dem Wissen, dass ich Dich verlier,
steh ich Dir
auf Deinem Weg in Dein künftiges Revier
Spalier.
Gute Reise und denk an mich,
vergiss mich nicht,
denn ich komm von Dir,
durch Dich bin ich hier,
dafür dank ich Dir.

Unsere letzten gemeinsamen magischen Worte, die nehm‘ ich mit,
ich hab‘ sie in meinem Innersten fest etabliert,
sie in mein Herz tätowiert,
alles von uns Gesagte genaustens zitiert
dort eingraviert.
Als wir sie sprachen, wir Beide uns nah,
da kam die Sintflut, ein Überkommen von Gefühlen sogar
und es war
als gebar
die Magie eine Dankbarkeit für einen erhabenen Moment,
von dem wir Beide wussten, dass er unser letzter war.

Zusammenkommen ist so einfach und loslassen so schwer,
aber vielleicht wird es nicht so leer
wie es zunächst erscheint
und unsere Wege trennen sich zwar, aber wir bleiben vereint.
Verlassen werden macht einsam,
doch Gehen und Gehen lassen ist gemeinsam.

Photo by Jan Ranft on Unsplash

Was uns bewegte, haben wir uns mitgegeben
viel Magie lag in der Luft
So ist es gut und ein jeder kann gehen.
Ich zurück ins Leben und du dahin wohin es dich ruft.

Wir sind klar, wir sind im reinen,
nicht groß nach Worten gesucht
und keine Aufarbeitungen versucht,
das ist ohnehin ohne Belang
und nicht das, wonach am Ende das Leben ruft.
Es ist der Friede, es ist der Gleichklang,
es ist Yin und es ist Yang,
es ist die Botschaft der Liebe und das Gefühl, das besteht
wenn ein Leben geht.
Gesprochen war es wenig, aber gefühlt so viel, und noch mehr entfacht.
Letztendlich haben diese Worte all das auf den Punkt gebracht
was wie ein Gebet
unterm Bruchstrich unseres gemeinsamen Lebens steht.
Das war uns vergönnt, und ich weiß es zu schätzen,
ich fühle mich ausgesprochen und spüre den Hauch
der Reinheit und der Freiheit nach unseren Sätzen
und ich wünsche mir, du tust es auch.

Bilder von früher, wie aus einer anderen Zeit;
wie viele Facetten des Lebens wir doch hatten,
die wir sehen, wenn wir das Buch unseres Lebens aufklappen,
an die ich in Ergriffenheit
zurückdenke, Momente der Verbundenheit und Geborgenheit,
scheinbar eine Ewigkeit
weit
entfernt, Augenblicke zu zweit,
die mich mit Dankbarkeit
erfüllen, und so schön es war sie zu erfahren,
für mich per heute zu wenig waren.
Früher normal und Alltag, heute nicht mehr als eine Illusion
und in der Zukunft nichts weiter als eine Reflexion.
So geht es jetzt Dir, so geht es mal uns,
wir gehen und was bleibt ist eine Inspiration,
ein Vermächtnis,
das all die empfangen,
die bereit sind, das wahre Erbe in ihrem Gedächtnis
zu erlangen.

März 2021

Titelbild : Dietmar Rinke

© 2020 Dietmar Rinke
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Autoren wiedergegeben werden.

Siehe dazu auch: Dietmar Rinke (@diedymus) • Instagram-Fotos und -Videos

ein kleiner politischer Diskurs

Es klingelt an der Wohnungstür. Wer zum Teufel wagt es meinen wohl verdienten Feierabend zu stören?

Ich reiße die Tür auf. Mein junger Nachbar steht in voller Guerilla-Montur davor und schaut mich fragend an. „Haste Eier?“

Ha, denke ich, er will mal wieder provozieren. Er ist ein Greenpeace-Aktivist, keine Umweltdemo oder – Aktionen ohne ihn. Wir hatten schon so manche hitzige Diskussion im Hausflur oder am Müllcontainer. Doch nun versucht er meine letzte Bastion, meinen Rückzugsort, meine Wohnung zu stürmen.

„Respekt“, sage ich, „komm rein.“ Drehe mich um und gehe voraus ins Wohnzimmer. Er folgt mir nun unsicher. Meine Reaktion hatte er sichtlich nicht erwartet.

In meiner Wohnung bestimme ich die Themen und lege sofort los: „Die Globalisierung und ihre Auswirkungen auf die Bauern, ob Großbauer oder Öko-Landwirt sind unbestritten. Ob die gesetzlichen Vorgaben am Schreibtisch in Berlin völlig weltfremd und realitätsfern getroffen dazu beitragen, die verfahrene Situation zu entschärfen, bezweifele ich.“

„Hm.“

Es folgen ein vierstündiger Monolog, ohne eine Unterbrechung zu zulassen, über die Jäger und Sammler, der Ackerbau im Feudalismus, den Dreißigjährigen Krieg, die Industrialisierung der Landwirtschaft Anfang des 19. Jahrhunderts, die Großtierhaltung in heutiger Zeit, die fleischverarbeitende Industrie, den CO2-Ausstoß, Vegetarier und Veganer, über die Discounter und das Konsumverhalten der Endverbraucher.

„Aber ich werde nie und nimmer auf mein Fleisch auf dem Grill verzichten. Da kannst du noch so oft mit mir diskutieren, wie du möchtest.“, beende ich von mir selbst beeindruckt meine Rede. So schnell wird er mich nicht mehr belästigen. Punktsieg für mich!

Photo by Myriam Zilles on Unsplash

„Ähm, auch wenn ich nicht mit allen Punkten mit dir übereinstimme, können wir das für heute unterbrechen? Ich bin ziemlich fertig, komme gerade aus Berlin, mein Kühlschrank ist leer, habe seit heute Morgen nichts mehr gegessen. Haste ein paar Eier?“

Februar 2021

Titelbild: Photo by Markus Spiske on Unsplash

© 2021 Ingo M. Ebert
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Autoren wiedergegeben werden.

Ein paar fehlerhafte Gedanken zum Thema

Keine Fehler – unmöglich

Kleine Fehler – verzeihlich

Grobe Fehler – herzlos

Absichtliche Fehler – skrupellos.

Foto von Markus Spiske auf Unsplash

Große Fehler – schmerzlich

Eigene Fehler – peinlich

Schmerzliche Fehler – ideenlos

Offene Fehler – schlaflos.

Wiederholte Fehler – dümmlich

Ignorierte Fehler – größenwahnsinnig

Verschwiegene Fehler – hoffnungslos

Fremde Fehler – hemmungslos.

Foto von Nong Vang auf Unsplash

Unnötige Fehler – deprimierend

Notwendige Fehler – stimulierend

Alte Fehler – historisch

Falsche Fehler – unlogisch.

Unerkannte Fehler – gefährlich

Zukünftige Fehler – unendlich.

Intelligente Fehler – gefahrlos

Ärztliche Fehler – gnadenlos.

Foto von Brett Jordan auf Unsplash

Technische Fehler – ärgerlich

Menschliche Fehler – menschlich

Nicht gemachte Fehler – bedeutungslos

Kein Leben – fehlerlos!

März 2021

Titelbild: Foto von Michael Dziedzic auf Unsplash

© 2021 Ingo M. Ebert
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Autoren wiedergegeben werden.

Mein Schutzengel

Meine Oma hat mir früher oft davon erzählt, dass jeder Mensch seinen persönlichen Schutzengel hat. „Er wacht über Dich und passt auf Dich auf,“ sagte sie und streichelte mir dabei über den Kopf. Ich glaubte nicht daran, lauschte aber interessiert den Geschichten, wo die Engel aktiv waren. Mein Opa hat z. B. mit einer schweren Kopfverletzung den Krieg und die Gefangenschaft überlebt. Sein Schutzengel hatte ein Wunder vollbracht!

Ich war ein Junge vom Dorf und kam beim Spielen im Wald oft in brenzlige Situationen. Außer ein paar Kratzern an den Beinen und Platzwunden am Kopf ist nicht viel passiert. Ich hatte einfach Glück oder hatte mein Schutzengel mich beschützt?

Foto: Mein Schutzengel – von胖 auf Unsplash

der erste Großauftrag

Den ersten Großauftrag hatte mein Engel im Jahre 1987. Ich war Anfang Oktober mit dem Motorrad von Stralsund auf dem Weg zu meiner jungen Familie in Bad Sülze. Es war bereits dunkel und am Abend war auf der Straße zwischen Richtenberg und Tribsees niemand mehr unterwegs. Also gab ich Gas, war spät aus der Offiziershochschule weggekommen, und wollte etwas Zeit aufholen, denn ich hatte nur eine Nacht Landgang.

Die Straße war schnurgerade und ich befand mich zwischen den Orten auf freiem Feld, als ich einen Schlag spürte und mit dem Kopf zuerst über den Lenker flog. Das Motorrad überschlug sich und landete nur wenige Zentimeter neben mir und rutschte, funkensprühend mit mir zusammen, über den Asphalt in Richtung Straßengraben. Es ging alles so schnell und ein paar Sekunden später lag ich auf dem Rücken im Graben und sah die Sterne über mir. Es herrschte totenstille, kein Geräusch war zu hören. Völlige Dunkelheit umgab mich. Mir wurde eiskalt. Ich konnte mich nicht bewegen, keine Hände, keine Beine, einfach nichts. Schmerzen hatte ich nicht. Ich konnte nur noch denken.

Mein erster Gedanke war:

„Das war es jetzt mit Dir!“

Ein Nebelhauch zog über mich und mir wurde warm. Die Panik legte sich und ich atmete ruhig ein und aus. Ich konnte mich immer noch nicht bewegen, auch den Kopf nicht drehen. Und so sah ich weiter in den Sternenhimmel, bis ich ein Autogeräusch in der Ferne hörte. Wo kam der denn jetzt her? Aber ich lag im Graben, niemand konnte mich sehen! Ich richtete mich auf eine lange Nacht ein, in der Hoffnung am Morgen bei Tageslicht gefunden zu werden.

Das Auto kam näher, verlangsamte seine Fahrt und hielt tatsächlich an. Die Tür klappte zu und wenig später beugte sich ein Mann über mich und sagte panisch: „Was soll ich jetzt nur machen?“ Das wiederholte er insgesamt fünfmal! Ich konnte ihm nicht antworten und hoffte, ihm fällt noch etwas rechtzeitig ein. Er stand nur da und schaute mich an. Vielleicht sah ich komisch aus in meiner Montur mit Integralhelm auf dem Kopf?

Die Rettung kam in Form eines Krankenwagens, der zufällig auf dem Weg von einem Einsatz zurück zum Krankenhaus nach Stralsund wollte. Da mein Ersthelfer die Straße mit seinem Auto blockierte, hielt der Rettungswagen an. Ich spürte seine Erleichterung körperlich, als er Hilfe bekam. Ich stand zwar immer noch unter Schock und konnte mich nicht bewegen, aber ich hatte wieder Hoffnung. Mit Verdacht auf Halswirbelbruch wurde ich mit Blaulicht ins Krankenhaus nach Stralsund gebracht. Ich hatte keinen Bruch! Nur schwere Prellungen am ganzen Körper, selbst meine Zähne waren locker. Nach zwei Tagen konnte ich auch wieder meine Füße spüren und unter starken Schmerzen bewegen. Nach 2 Wochen durfte ich das erste Mal aufstehen und habe zu Hause angerufen. Meine Frau war erstaunt und geschockt zugleich, es hatte sie niemand über den Unfall informiert. Es gab damals noch keine Handys und E-Mail.

Foto: Hirsch – von Bryan Walker auf Unsplash

Mein Motorrad war Schrott und der Rehbock hatte den Zusammenstoß nicht überlebt. Seit diesem Unfall habe ich den wohlgemeinten Rat meiner Oma beherzigt: „Fahre nie schneller, als Dein Schutzengel fliegen kann.“ Aber galt das auch für Wildunfälle?

der zweite Auftrag

Die Antwort darauf erhielt ich letzte Woche. Unser Flieger nach Barcelona ging am frühen Morgen und so sind wir um halb zwei in der Nacht aufgebrochen. Irgendwo hinter Bochum auf der Landstraße, blinkte auf einmal ein gelbes Warnsignal in meinem Autodisplay. Eine Störung des Notbremsassistenten wurde angezeigt und ich sollte sofort Kontakt mit der Werkstatt aufnehmen.

Ich hielt an, weil das Blinken nicht aufhören wollte. Unseren Flieger sah ich schon ohne uns starten. Ich machte den Motor aus und schaltete den Warnblinker an. In diesem Moment trat ein großer Hirsch langsam auf die Fahrbahn. Blieb stehen, schaute in unsere Richtung. Seine Augen blinkten im Rhythmus der Warnblinkanlage. Fasziniert folgten wir seinem majestätischen Gang auf die andere Straßenseite, wo er stolz im Wald verschwand. Meine Frau und ich schauten uns ungläubig an. War das eine Halluzination aufgrund der Müdigkeit gewesen? Ich startete den Wagen neu und das gelbe Blinken im Display war weg. Mit gemischten Gefühlen fuhren wir weiter in Richtung Flughafen, wo wir pünktlich unseren Flieger erreichten.

Februar 2020

Titelfoto: von Zoltan Tasi auf Unsplash

© 2020 Ingo M. Ebert
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Autoren wiedergegeben werden.