Abschied

für Mutter

Unbeholfen stehe ich an Deinem Bett in diesem Heim,
man hat mich gerufen, es gehe Dir schlecht.
Niemand, der diese Routinen hier checkt,
weist mich ein.
Es ist spät, ich landete in der Nacht, kam hierher,
wo Du seit Jahren lebst, mit dem Taxi, diesen Weg zu diesem Ort,
ich kenn ihn nicht mehr,
zu lange schon fort.
Der Ort, wo nun Dein Leben verrinnt,
die Stätte, wo auch meine Wurzeln sind,
ist mir heute fremd.
Alles das spielt keine Rolle, ich bin da, wenn auch spät
und auch wenn es in mir brennt,
verdräng ich die Erkenntnis, dass ich mich nicht zurechtfand,
dort, wo am Stadtrand
Dein Leben stattfand,
ich mich im Kreis
drehte, dort, wo Du Deinen Alltag verbrachtest in all den Jahren,
über die ich wenig weiß.

Du, die stolze Frau, die Du liegst, vor mir, hier,
hilflos mit deinem Blick zu mir,
du liegst da,
an nur eine Windel, aber doch so reich,
ein erfülltes Leben, dieses Bild wird mir klar,
als ich dir über deine dünn geword‘nen Haare streich‘.
Früher gabst Du, heute lebst du vom Nehmen,
von Themen,
die zu dir führ‘n und dich berühr’n.
Ich bin kein Meister von Gesten und Zeichen
aber gebe mein Bestes, dass Dich meine erreichen.

Ich weiß nicht, ob Du mich hörst, ich weiß nicht, ob Du mich verstehst
und ich weiß nicht wohin Du gehst.
Der Geist von früher ist noch immer hier, er vertritt dich in Momenten,
in denen es Dir nicht mehr möglich ist,
in denen Du vieles vergisst
und in Fragmenten
sprichst.

Dir verdanke ich meine Existenz,
du schenktest sie mir,
es fällt mir schwer, hier neben dem Bett von Dir
in Deiner Präsenz
diese Kraft und Stärke zu erkennen, doch zuvor
war sie da und sie brachte mich hervor.
Heute schaue ich in dein fahles Gesicht, einen Spiegel ohne Antworten,
und es spricht von Deinem heutigen Sein an fernen Orten
Ich erkenne daran wie das Leben sich dreht,
wie die Stärke vergeht, während Größe besteht,
wie Blöße entsteht, wenn der Wind der Vergänglichkeit weht.
Das ist das, was mich bewegt,
während ich dir Essen gebe
und dich anders rum lege,
damit es dir etwas besser geht.

Von Dir kaum eine Regung,
und ich spüre, dies ist unsere letzte Begegnung.
Geheiligt und für immer in mein Herz gemeißelt sei dieser Moment,
vehement
für alle Zeit in mir verewigt,
eingefangen in einen Hauch, der Unendlichkeit predigt,
und von dem ich grad spür, dass genau er als Protagonist
der Ursprung allen Lebens ist.
Die Intensität dieses Moments ist derart stark,
dass ich für immer in mir das Wissen trag,
ich mir jederzeit alles von ihm ins Bewusstsein zu rufen vermag,
alles dieses Moments, Du, Deine Blicke, Dein Geruch, dieser Raum, dein verschmähtes Getränk,
das Buch neben Dir, mein nicht beachtetes Geschenk,
meine Fußspuren in Deinem Zimmer,
alles davon ist in mir für immer.

Während sich all dies in mein Innerstes bohrte,
schließe ich Dich in dem Bewusstsein des letzten Males in meine Arme, halte Dich fest und sage Dir magische Worte.
Als du sie wiederholst, obwohl eher mechanisch als authentisch,
und eher allgemein
und in Dich hinein
schlägt es in mir ein.
Mich überkommen Unmengen von Empfindungen und auch wenn ich fühle
dass ich Dich mit meinen Emotionen aufwühle,
kann ich sie nicht überbrücken,
geschweige denn unterdrücken,
nichts von Beidem will mir glücken
und so fließen in großen Stücken
vorbei an Deinem Schopf
Unmengen plötzlicher Tränen in das Kissen unter Deinem Kopf.

Du liegst starr da, ob Du all das wahrnimmst, was in mir brennt
und nach außen drängt,
ich weiß es nicht, und wenn, dann nur latent
und für diesen Moment;
es scheint, diese Nähe ist Dir fremd,
denn Du wirkst gehemmt,
während Tropfen um Tropfen in Dein Kissen rennt.

Du gabst einst mich frei, als ich nicht blieb,
heute tue ich es, und so darfst Du jetzt, wo Dein Stern verglüht
und Deine Quelle versiegt,
dorthin gehen wohin es dich zieht.

In dem Wissen, dass ich Dich verlier,
steh ich Dir
auf Deinem Weg in Dein künftiges Revier
Spalier.
Gute Reise und denk an mich,
vergiss mich nicht,
denn ich komm von Dir,
durch Dich bin ich hier,
dafür dank ich Dir.

Unsere letzten gemeinsamen magischen Worte, die nehm‘ ich mit,
ich hab‘ sie in meinem Innersten fest etabliert,
sie in mein Herz tätowiert,
alles von uns Gesagte genaustens zitiert
dort eingraviert.
Als wir sie sprachen, wir Beide uns nah,
da kam die Sintflut, ein Überkommen von Gefühlen sogar
und es war
als gebar
die Magie eine Dankbarkeit für einen erhabenen Moment,
von dem wir Beide wussten, dass er unser letzter war.

Zusammenkommen ist so einfach und loslassen so schwer,
aber vielleicht wird es nicht so leer
wie es zunächst erscheint
und unsere Wege trennen sich zwar, aber wir bleiben vereint.
Verlassen werden macht einsam,
doch Gehen und Gehen lassen ist gemeinsam.

Photo by Jan Ranft on Unsplash

Was uns bewegte, haben wir uns mitgegeben
viel Magie lag in der Luft
So ist es gut und ein jeder kann gehen.
Ich zurück ins Leben und du dahin wohin es dich ruft.

Wir sind klar, wir sind im reinen,
nicht groß nach Worten gesucht
und keine Aufarbeitungen versucht,
das ist ohnehin ohne Belang
und nicht das, wonach am Ende das Leben ruft.
Es ist der Friede, es ist der Gleichklang,
es ist Yin und es ist Yang,
es ist die Botschaft der Liebe und das Gefühl, das besteht
wenn ein Leben geht.
Gesprochen war es wenig, aber gefühlt so viel, und noch mehr entfacht.
Letztendlich haben diese Worte all das auf den Punkt gebracht
was wie ein Gebet
unterm Bruchstrich unseres gemeinsamen Lebens steht.
Das war uns vergönnt, und ich weiß es zu schätzen,
ich fühle mich ausgesprochen und spüre den Hauch
der Reinheit und der Freiheit nach unseren Sätzen
und ich wünsche mir, du tust es auch.

Bilder von früher, wie aus einer anderen Zeit;
wie viele Facetten des Lebens wir doch hatten,
die wir sehen, wenn wir das Buch unseres Lebens aufklappen,
an die ich in Ergriffenheit
zurückdenke, Momente der Verbundenheit und Geborgenheit,
scheinbar eine Ewigkeit
weit
entfernt, Augenblicke zu zweit,
die mich mit Dankbarkeit
erfüllen, und so schön es war sie zu erfahren,
für mich per heute zu wenig waren.
Früher normal und Alltag, heute nicht mehr als eine Illusion
und in der Zukunft nichts weiter als eine Reflexion.
So geht es jetzt Dir, so geht es mal uns,
wir gehen und was bleibt ist eine Inspiration,
ein Vermächtnis,
das all die empfangen,
die bereit sind, das wahre Erbe in ihrem Gedächtnis
zu erlangen.

März 2021

Titelbild : Dietmar Rinke

© 2020 Dietmar Rinke
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