Frei nach den Märchen der Gebrüder Grimm
Es war einmal ein Verein an der Bremer Brücke. Dort lebte ein Trainer. Er war klug und gescheit, und wusste sich in alles wohl zu schicken. Der Co-Trainer war nicht dumm, konnte vieles begreifen und lernen. Trotzdem wenn die Beiden die Leute sahen, sprachen sie: „Mit dem wird der Verein noch seine Last haben!“ Wenn nun am Wochenende etwas zu tun war, so musste es der Trainer Thioune allzeit ausrichten; hieß ihn aber der Verein noch spät freitags oder gar in der Nacht am Montag ein Spiel machen, und der Weg ging dabei über Münster oder sonst einen schaurigen Ort, so antwortete er wohl: „Aber sicher, lieber Verein, ich gehe dahin.“ Denn er fürchtete sich nicht. Oder wenn abends beim Feuer Aufstiegsgeschichten erzählt wurden, wobei einem die Haut schaudert, so sprachen die Zuhörer manchmal: „Ach, es gruselt mir!“ Der Trainer saß in einer Ecke und hörte das mit an und konnte nicht begreifen, was es heißen sollte. „Immer sagen sie, es gruselt mir, es gruselt mir! Mir gruselt’s nicht. Das wird wohl eine Kunst sein, von der ich wohl nichts verstehe.“
Nun geschah es, dass der Vereinsboss einmal zu ihm sprach: „Hör, du in der Ecke dort, du bist nun groß und stark, du musst auch einmal richtig Aufsteigen. Damit du dein Brot verdienst. Siehst du, wie dein Nachbar sich Mühe gibt, aber mit dir ist die dritte Liga verloren.“ – „Ei, lieber Verein,“ antwortete er, „ich will gerne was lernen; ja, wenn’s anginge, so möchte ich lernen, daß mir’s gruselte; davon verstehe ich noch gar nichts.“ Die Mannschaft lachte, als sie das hörte und dachte bei sich: Du lieber Gott, was ist unser Coach für ein Dummbart, mit dem wird kein Spieltag nichts. Was ein erfolgreicher Trainer werden will, muss sich beizeiten kümmern. Der Vereinschef seufzte und antwortete ihm: „Das Gruseln, das sollst du schon lernen, aber dein Brot wirst du damit nicht verdienen.“
Bald danach kam aus Hamburg Besuch ins Haus. Da klagte ihm der Vereinschef seine Not und erzählte, wie sein bester Trainer in manchen Dingen so schlecht beschlagen wäre, er siegte und trainierte zwar vorbildlich. “ Aber denkt Euch, als ich ihn fragte, womit er sein Brot verdienen wollte, hat er gar verlangt, das Gruseln zu lernen.“ – „Wenn’s weiter nichts ist,“ antwortete der Jonas Boldt, „das kann er bei mir lernen; tut ihn nur zu mir, ich werde ihn schon abhobeln.“
Der Verein war es zufrieden, weil er dachte: Der Trainer wird doch ein wenig zugestutzt. Der Hamburger nahm ihn also ins Haus, und er musste den HSV trainieren. Nach ein paar Monaten schickte er ihn ans Millerntor. Du sollst schon lernen, was Gruseln ist, dachte er, ging heimlich voraus, um sich das Spiel von der VIP-Longe anzuschauen. Die Mannschaft von St. Pauli lief in den Vereinsfarben auf, damit der gegnerische Trainer glauben sollte, es wäre ein Gespenst. Der Trainer rief zur Mannschaft: „Was wollt ihr hier? Sprich, ein Unentschieden ist nicht genug. Wenn ihr ehrliche Kerle seid, dann siegt hier oder ihr fallt in der Tabelle hinab.“ Der Vereinsboss dachte: Das wird so schlimm nicht werden, gab keinen Laut von sich und stand, als wenn er von Stein wäre.
Doch das Rufen des Trainers war vergeblich. Das Unglück nahm seinen Lauf.
Der HSV verlor mit lautem Geschrei.
Der Trainer ging weiter seines Wegs und fing wieder an, vor sich hin zu reden: „Ach, wenn mir’s nur gruselte! Ach, wenn mir’s nur gruselte!“ Das hörte einer vom Aufsichtsrat, der hinter ihm her schritt, und fragte: „Wer bist du?“ – „Ich weiß nicht,“ antwortete der Trainer. Der Aufsichtsratsvorsitzende fragte weiter: „Wo bist du her?“ – „Ich weiß nicht.“ – „Wer ist dein Heimatverein?“ – „Das darf ich nicht sagen.“ – „Was brummst du beständig in den Bart hinein?“ – „Ei,“ antwortete der Trainer, „ich wollte, dass mir’s gruselte, aber niemand kann mich’s lehren.“ – „Laß dein dummes Geschwätz,“ sprach alte Mann. „Komm, geh mit mir, ich will sehen, wie Du in die 1.Liga aufsteigst.“ Der Trainer ging mit dem Mann und machte weiter wie bisher und verlor fünfmal hintereinander. Als er nun zum Vereinsboss kam, da machte der große Augen. „Ich dachte nicht,“ sprach er, „daß ich dich wieder lebendig sehen würde; hast du nun gelernt, was Gruseln ist?“ – „Nein,“ sagte er, „es ist alles vergeblich. Wenn mir’s nur einer sagen könnte!“
Im letzten Spiel setzte er sich wieder auf seine Trainerbank und sprach ganz verdrießlich: „Wenn es mir nur gruselte!“ Als es spät ward, kam in der zweiten Halbzeit ein Spieler vom KSC und brachte ein Tor zustande. Da sprach er: „Ha, ha, das ist gewiss mein Untergang.“ Winkte mit dem Finger und rief, „komm, Vetterchen, komm!“. Der Vereinsboss aber hub an und rief: „Jetzt will ich dich erwürgen.“ – „Was,“ sagte er, „ist das mein Dank? Gleich sollst du wieder in deine VIP-Lounge.“ schob ihn weg, warf ihm einen Wasserflaschendeckel hinterher. „Es will mir nicht gruseln,“ sagte er, „hier lerne ich’s mein Lebtag nicht.“
Zurück im heimischen Stadion beim Training. Da trat ein Mann heran, der war größer als alle anderen, und sah fürchterlich aus; er war aber alt und hatte einen langen weißen Bart. „O du Wicht,“ rief er, „nun sollst du bald lernen, was Gruseln ist, denn du wirst gefeuert.“ – „Nicht so schnell,“ antwortete der Trainer, „soll ich gehen, so muss ich auch dabei sein.“ – „Dich will ich schon packen,“ sprach der Hrubesch. – „Sachte, sachte, mach dich nicht so breit; so stark wie du bin ich auch, und wohl noch stärker.“ – „Das wollen wir sehn,“ sprach der Alte, „bist du stärker als ich, so will ich dich weiter trainieren lassen; komm, wir wollen’s versuchen.“ Da führte er ihn durch dunkle Stadiongänge zu einem Bierstand, nahm einen Becher und schüttete sich den mit einem Mal in den Hals. „Das kann ich noch besser,“ sprach der junge Trainer und ging zu dem andern vollen Becher. Der Alte stellte sich nebenhin und wollte zusehen, und sein weißer Bart hing herab. Da schloss der der junge Trainer die Eingangstür und klemmte den Bart des Alten mit hinein. „Nun habe ich dich,“ sprach der Trainer Thioune, „jetzt ist das Nichtaufsteigen an dir.“ Dann fasste er eine Baquettestange und schlug auf den Alten los, bis er wimmerte und bat, er möchte aufhören, er wollte ihm große Reichtümer geben. Der junge Trainer öffnete wieder die Tür und ließ ihn los. Der Hrubesch führte ihn wieder ins Stadion zurück und zeigte ihm in einem Keller drei Kasten voller Pokale. „Davon,“ sprach er, „ist ein Teil von den Meisterschaften, der andere dem DFB-Pokal, der dritte Championsleague.“ Indem schlug es zwölfe, und der Hrubesch verschwand, also dass der Thioune im Finstern stand. „Ich werde mir doch heraushelfen könner,“ sprach er, tappte herum, fand den Weg in die Umkleide und schlief dort bei einem Astra ein. Am andern Morgen kam der Vereinsboss und sagte: „Nun wirst du gelernt haben, was Gruseln ist?“ – „Nein,“ antwortete er, „was ist’s nur? Mein alter Freund, der bärtige Mann ist gekommen, der hat mir da unten vielen Pokale gezeigt, aber was Gruseln ist, hat mir keiner gesagt.“ Da sprach der Chef: „Du hast das den Verein zerstört und sollst nun ein HSV-Trikot zum Abschied erhalten.“ – „Das ist alles recht gut,“ antwortete er, „aber ich weiß noch immer nicht, was Gruseln ist.“
Da ward der Europapokal heraufgebracht und das HSV – Trikot mit den Namen Thioune beflockt. Der Trainerwechsel wurde verkündet und der Abschied gefeiert. Es gab ein ganzes Fass Holsten. Er trank und rief: „Ach, was gruselt mir, was gruselt mir, lieber HSV – Verein! Ja, nun weiß ich, was Gruseln ist.“
Osnabrück, 03.05.2021
Titelbild: Photo by Mario Klassen on Unsplash
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