Ein unmoralisches Angebot
Ich bin mit dem Rad auf dem Weg nach Hause. Die knapp sieben Kilometer zur Arbeit fahre ich querfeldein an grünen Feldern vorbei und durch ein größeres Waldstück. Ich liebe Fahrradfahren.
Ich mag es, wenn am frühen Morgen der bleierne Nebel aus den Feldern steigt, die Sonne als helle Scheibe gegen die Wolken ankämpft. Im Wald erwachen die Vögel, ab und zu springt ein Hase oder ein Reh hastig in das Dickicht zurück. Der Wind spielt mit den Ästen und Wipfeln. Die Luft ist angenehm frisch und würzig.
Es war ein heißer Sommertag im überhitzten Büro und ich genieße die feuchte Kühle im Wald auf dem Rückweg. Meine Gedanken schweifen ziellos umher, das Rad kennt den Kurs, meine Konzentration wird nicht gebraucht.
Auf einmal treten zwei komische Typen aus dem Wald kommend auf den Weg. Ich denke so, wie Wanderer sehen sie nicht aus mit ihren grellbunten Jacken und breiten Schlaghosen. Auf dem Schlagermove wären sie nicht aufgefallen, aber hier passen sie nicht hin. Vorsichtshalber bremse ich ab, denn es sieht nicht so aus, als ob sie den Pfad freigeben wollen. Sie haben sich sicherlich verirrt und fragen gleich freundlich nach dem Weg.
„Entschuldigen Sie die Störung“, spricht mich der eine lächelnd an.
„Mein Name ist Borg, wir möchten dich einladen, unseren Planeten Yankee Zulu 397 zu besuchen.“
“Oh Gott, auch noch bekifft!“, murmele ich vor mich hin.
„Unser Luxusreisegefährt steht nur wenige Meter von hier im Wald startbereit“, meldete sich der Zweite zu Wort. Sie haben einen Akzent, welcher mich an die Google-Translator-Sprachausgabe erinnert.
„Warum ausgerechnet ich?“, frage ich verunsichert nach und fühle mich bei der Sendung „Verstehen Sie Spaß“ ins Visier genommen.
„Unser Ansinnen kommt unverhofft, dessen sind wir uns bewusst“, entschuldigt sich Borg. „Wir haben dich ausgewählt, weil du keine Tiere isst, deine Welt nicht mit giftigen Abgasen belastest, ein hilfsbereiter, kommunikativer und intelligenter Eingeborener bist. Wir beobachten dich schon eine längere Zeit.“
Eine versteckte Kamera kann ich immer noch nicht entdecken. Mir fällt die Kinnlade runter.
„Wir brauchen solche Menschen wie dich auf unseren Planeten“, ergänzt der andere. „Die Erde wird sich schon in wenigen Jahren selbst zerstört haben. Unser Planet ist erdähnlich und wir wollen euere Spezies gern erhalten.“
Ich fasse mich und versuche das Gesagte zu verarbeiten.
„Vielen Dank für diese Ehre, ich bin aufrichtig gerührt. Ich weiß nicht, ob ich für diesen Schritt bereit bin, schließlich wird sich mein Leben komplett verändern.“
Die beiden nicken zustimmend und eine gasförmige leuchtende Aura umhüllt nun ihre Körper.
„Darf ich meine große Liebe, meine Frau mitnehmen?“, möchte ich nun wissen.
„Das ist absolut unmöglich“ erwidert Borg, „nur Auserwählte dürfen mitkommen. Auf unserer Welt findest du mit Sicherheit eine neue Gefährtin.“
Ich denke kurz nach: Ich wäre ein Gesandter der Erde, könnte beweisen, dass es auch Menschen gibt, die nicht ohne Sinn und Verstand die Welt, den Planeten und das ganze Universum zugrunde richten. Dafür werde ich hier alle und alles zurücklassen müssen. Bei dem Gedanken wurde mir schwindelig.
„Gibt es auf euren Planeten auch Gin?“, rutschte mir, der auf einmal gekommene Geistesblitz aus dem Mund.
„Nein, Alkohol ist Gift für lebende Zellen. Wir achten streng darauf, dass keine Gifte oder Krankheiten eingeschleppt werden.“ Borg schaut inzwischen hektisch auf sein Armbandcomputer.
„Gin ist nicht einfach nur Alkohol!“, versuche ich zu erklären. „Es ist ein Lebensgefühl, eine Passion!“
„Nein, keine Chance, ist verboten!“, gibt der zweite Außerirdische kurz und knackig zu Protokoll.
„Gib deinem Leben einen Gin!“, bete ich vor mich hin, während ich den letzten Kilometer durch den Wald radele.
Juli 2021
Titelbild: Gib deinem Leben einen Gin – Foto (privat)
© 2021 Ingo M. Ebert
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