Levi büxt aus
Verdammt ist mir heiß! Ich liege auf den kühlen Fliesen im abgedunkelten Schlafzimmer. Wir haben Sommer sagt mein Frauchen und diese Hitze wäre nicht normal. Das kann ich nicht beurteilen, denn es ist erst die zweite heiße Jahreszeit in meinem Leben.
Übrigens, ich heiße Levi und habe zu Weihnachten das Licht der Welt erblickt. Ok, zugegeben, am Anfang war ich ein kleines süßes Katzenbaby und habe nicht viel gesehen. Mein Frauchen meint ich wäre das beste Weihnachtsgeschenk der Welt, sogar ohne rote Schleife und Geschenkpapier. Beim letzten Weihnachtsfest habe ich dann selbst ein Geschenk bekommen. Einen eigenen Wasserspender, welcher immer los plätschert, wenn ich in der Nähe bin. Am Anfang war das ganz aufregend, aber nun ist es einfach nur mein Trinkbrunnen.
Inzwischen bin ich groß und stark, fast wie ein Löwe. Ich habe stahlgraue Augen und eine graublaue, dicke Fellmähne. Mein kurzes Fell ist perfekt gepflegt. Es funkelt sogar in der Sonne. Ich und mein Frauchen leben am Rande einer großen Stadt. Wo genau, habe ich noch nicht herausgefunden. Aber sobald ich es weiß, erzähle ich es euch. Mein Frauchen liebt mich über alles. Aus Sorge, mir könnte etwas passieren, darf ich das Haus nie verlassen. Da passt sie sehr auf.
Früher fand ich in der Wohnung alles neu und interessant: die Möbel, die Staubflusen unter dem Bett, die Küchengeräte auf und in den Schränken. Die Wohnung war mein Abenteuerspielplatz. Dabei stand ich kleiner Abenteurer immer unter der Beobachtung meines fürsorglichen Frauchens. Sie rettete mich schon aus so manch brenzliger Situation. Zum Beispiel, als ich mich in einer dicken Wolljacke verhedderte oder versehentlich im Kleiderschrank eingesperrt wurde. Das war vielleicht ein Schreck! Aber ich bin einfach zu neugierig. Ich erkunde jedes Versteck und jede Schublade, egal wie dunkel es darin ist.
Inzwischen kenne ich alle Ecken und jedes Regal. Ich war sogar schon im Kühlschrank, obwohl es da so kalt ist. In letzter Zeit langweile ich mich aber fürchterlich. Etwas Abwechslung gibt es nur ein bis zwei Mal im Jahr. Da geht es zum Tierarzt in die Stadt. Das ist immer sehr aufregend. Aber durch das Katzenkörbchen kann ich auf dem Weg dorthin nicht viel sehen, obwohl alles so interessant ist.
Bei dem ersten Besuch hatte ich noch große Angst. In der Praxis war alles fremd, der Warteraum, der Untersuchungstisch und die unbekannten Menschen in den komischen weißen Kleidern. Da lag ich mucksmäuschenstill, wagte mich kaum zu rühren. Mein Herz klopfte ganz aufgeregt, als der Tierarzt mich vorsichtig mit einem komischen Gerät untersuchte. Danach schaute er mir in den Mund und in die Ohren. Es tat gar nicht weh und dauerte auch nicht lange. Ich war gesund und stolz auf meinen Mut.
Heutzutage habe ich keine Angst mehr, bin ja schon groß. Die Fahrt mit dem Auto in die Tierarztpraxis ist aber trotzdem immer wieder spannend.
Ich glaube nicht, dass wir heute zum Tierarzt fahren werden. Dafür ist es einfach zu heiß. Die Sonne strahlt funkelnd vom blauen Himmel herab. Ich gähne und strecke mich genüsslich. Langsam schlendere ich in die Küche.
Zum Schlafen liege ich meistens auf dem Bett oder auf meinem Kletterbaum ganz oben. Am Tag ist mein Lieblingsplatz das Fensterbrett in der Küche. Von hier aus kann ich auf die Straße und den dahinter liegenden Wald sehen. Da draußen ist immer etwas los. Bäume und Blätter bewegen sich im Wind. Kleine und große Piepmätze flattern vorbei, ein farbiges Flatterding torkelt vorüber oder unbekannte Menschen gehen mit fremdartigen Vierbeinern an Leinen spazieren. Große, bunte Kisten fahren lärmend auf der grauen Straße. Vor dem Fenster ist immer etwas los. Ach, ich wäre so gern dort draußen unter freiem Himmel. Seufz!
In der Küche angekommen, werfe ich einen Blick auf die leere Schüssel, kein Futter mehr da. Dann springe ich zum Fensterbrett hinauf, um aus dem Fenster zu schauen. Doch was ist das? Ich spüre sofort einen leichten warmen Windhauch auf meinem Fell. Es riecht nach Blumen und vertrocknetem Gras. Mein Spiegelbild ist auch nicht zu sehen, was sonst immer der Fall war. Das Fenster ist offen! Das kann doch nicht sein, oder? Schnell schaue ich mich um, kein Aufpasser in der Nähe. Nach kurzem Zögern springe ich, ohne groß nachzudenken, Schwupps hinaus. Das Gras und etwas Moos vor dem Haus dämpfen meinen Aufprall federnd ab. Etwas erstaunt schaue ich zurück, die steile Hauswand nach oben. Das Fenster in der 1. Etage kann ich von hier unten gerade noch sehen. Ups, ist das hoch! Von da war ich gesprungen. Kaum zu glauben.
Der Wald mit seinen geheimnisvollen Geräuschen ist jetzt ganz nah. Ich renne los und höre ein lautes Quietschen. Eine der bunten Blechkisten ist genau vor meiner Nase stehen geblieben. Der Mensch hinter dem Lenkrad schaut erschrocken auf mich herab. Das war knapp! Jetzt weiß ich, warum alle Menschen immer so häufig nach rechts und links schauen, wenn sie eine Straße überqueren. Ich dachte stets, die sind aber ziemlich blöd, können nicht einmal schnell über die Fahrbahn flitzen.
Geschockt renne ich einfach weiter auf den Wald zu. Mit stark pochendem Herzen kauere ich mich unter den ersten Busch am Waldrand und spähe hervor. Die Gefahr scheint vorüber zu sein. Doch in dem Augenblick flattert ein schwarzes Ungeheuer mit einem orangegelben spitzen Schnabel laut schimpfend direkt auf mich zu. Hilfe!
Vor lauter Angst zucke ich zurück, drehe mich um und flitze so schnell ich kann los. Ich laufe vorbei an Buchen und Eichen, deren Stämme genauso dick und rund wie der Esstisch im Wohnzimmer sind, immer tiefer in den Wald hinein. Bis auf einmal ein kleiner Teich, zum Teil mit rundlichen Blättern und wunderschönen Blüten bedeckt, meine wilde Flucht stoppt.
Ich halte entkräftet und durstig an. In dem Augenblick, als ich meine Zunge in das kühle Nass tauche, klatscht neben mir etwas in die große Pfütze. Erschrocken schaue ich in zwei runde Glupschaugen. „Quak“ begrüßt mich der grüne Fremde, taucht unter und verschwindet im Wasser. So ein komisches Tier, ohne Fell und mit langen Beinen und Schwimmhäuten an den Füßen habe ich noch nie gesehen. Was wollte ich gerade? Ach, trinken. Schnell schlecke ich ein paar Schlucke. Mmmh, das tut gut!
Ein Rascheln im Laub lässt mich herumfahren. Ein kleiner Vierbeiner mit einer spitzen Schnüffelnase kommt näher. Was ist das für ein komisches Fell? Die halbe Portion kommt vorsichtig schnuppernd näher. Das will ich mir mal genauer anschauen und gehe langsam, aber mutig auf ihn zu. Das kleine Tier fühlt sich bedroht und rollt sich schnell zusammen.
Nun sieht der Unbekannte wie eine stachelige Kugel aus. Ich schnuppere vorsichtig und es pikst an der Nase. Aua, das tut weh! Respektvoll umkreise ich das Stacheltier zweimal. Das reicht, ich habe genug gesehen. Wer braucht schon so einen gefährlichen Spielkameraden?
Nun bin ich vorsichtiger und schleiche weiter in den dunklen Wald hinein. Ob es hier noch mehr Bewohner gibt?
Mitten im Wald ist eine kleine Lichtung versteckt. Die breiten Blätter der großen Bäume rundherum spenden reichlich Schatten an diesem heißen Sommertag. Die Wiese ist hoch bewachsen mit bunten Blumen und saftig grünen Gras. Ich bin erschöpft und brauche eine kleine Pause. Zusammengerollt schlafe ich im Schatten eines Grasbüschels sofort ein.
Inzwischen ist die Sonne hinter den Bäumen verschwunden und es wird langsam kühl, als ein leichter Stupser mich aufweckt. Zwei braune Augen schauen neugierig auf mich herab. Wow, was für lange dünne Beine und bin ganz verzückt. „Na, was machst Du denn hier?“, werde ich gefragt. Die Äuglein zwinkern mir freundlich zu. Die Anspannung ist nun weg. „Ich komme von da drüben von den Häusern. Wollte mal sehen, was es hier zu entdecken gibt.“
„Aha, hast Du denn keine Angst so allein im Wald?“
„Du bist doch auch hier allein unterwegs“, gebe ich frech zurück. „Ja sicher, ich bin ein Reh und wohne hier.“ Das freundliche Reh lächelt mir zu und knabbert dabei weiter genüsslich an den langen, grünen Grashalmen.
In diesem Moment beginnt es in den Bäumen über mir laut zu hämmern. Tuck, Tuck, Tuck! Ich blicke nach oben und kann einen Vogel in einem schwarz-weiß-roten Gefieder sowie einem weißen Bauch entdecken. So einen Piepmatz habe ich vom Fenster aus noch nie gesehen. Dieser hier hämmert wie wild auf einen morschen Baum ein, um gleich darauf ein kleines Würmchen zu verschlucken. Ob der Piepvogel bei so vielem Hämmern Kopfschmerzen bekommt? Das war viel Arbeit, um an Futter zu kommen. Zu Hause liegen die Leckereien einfach so im Fressnapf.
„Das ist ein Buntspecht“, erklärt das Reh, „wohnt schon länger hier in der Gegend. Das wilde Klopfen nervt aber schon ab und zu.“
„Levinatisch! “, kann ich nur sagen.
„Was ist levinatisch?“
„Ganz einfach, das ist meine Abkürzung für Levi mega fantastisch.“
„Aha!“, das Reh ist beeindruckt.
„Da will ich mal nicht weiter stören. Auf Wiedersehen.“ Dann schleiche ich lautlos über die Wiese und tauche in dichtes Unterholz ein.
Sträucher mit kleinen samtigen roten Früchten dran stechen und zwicken in mein weiches Fell. Das gefällt mir gar nicht. „Blöde Pflanzen!“
Zur gleichen Zeit landet mit einem tiefen Brummen ein schwarzbrauner Käfer mit einem Geweih auf seinem Kopf direkt vor meiner Nase. So ein gigantisches Krabbeltier habe ich noch nie im Leben gesehen. Der Käfer, größer als meine Tatze, ist hektisch in seinem Erdversteck verschwunden, bevor ich ihn genauer untersuchen kann. Schade, ich hätte gern mehr erfahren. Zum Beispiel, warum der Käfer große Zangen am Kopf trägt und ob die nicht hinderlich beim Laufen sind.
Wer hätte das gedacht, dass hier so viele Lebewesen in so einem kleinen Waldstück wohnen. Ein paar Schritte weiter ist der kühle Wald auf einmal zu Ende. Hier wachsen keine Bäume mehr. Es gibt keinen Schatten. Die tief stehende Sonne scheint ungehindert auf ein weites Feld vor mir. Was es dort wohl zu entdecken gibt?
März 2021
Titelbild: Illustration Andrea Schramek (andi-art-love)
© 2021 Ingo M. Ebert
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Autoren wiedergegeben werden.
Fortsetzung : Kater Levi und seine Abenteuer:
Ab sofort als Kinderbuch erhältlich!
Taschenbüchlein 21 x 15 cm, 44 Seiten mit vielen Illustrationen von Andrea Schramek (andiart)
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