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Kurzgeschichten

Das Leben ist schon ernst genug. Nicht nur deshalb schreibe ich gern lustige Kurzgeschichten. Mit einem Lächeln im Gesicht geht auch alles viel einfacher.
Ich wünsche mir mehr Freude und Spaß am Leben für alle Menschen.
Vielleicht kann ich mit meinen Aufzeichnungen ein wenig dazu beitragen.
Genießt das Leben!

nach einem MDR-Video

Anfang der Neunzigerjahre geschahen gleich mehrere Wunder in der kleinen und schönsten Stadt Deutschlands. Diesen Titel hat Stolberg zwar erst 2019 verliehen bekommen. Aber der Grundstein dafür wurde unmittelbar nach der Wiedervereinigung 1990 gelegt. Das Schloss und die Stadt mit den denkmalgeschützten Fachwerkhäusern hatten in den vierzig Jahren Sozialismus mehr gelitten als in den vielen Kriegen davor. Der Luftkurort, tief zwischen den Bergen gelegen, hatte besonders im Winter mit den hunderten Kohleöfen das Atmen unmöglich gemacht. Zusätzlich ließ der Smog die ohnehin wenige Sonne nie ins Tal scheinen. Die Stadt lag schwer atmend im Sterben.

Endlich Sonntag

18. Mai 2022
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Endlich Sonntag

Dein betörender Duft verzaubert mich. Selbst mit geschlossenen Augen erkenne ich dich. Mir wird schlagartig klar, heute ist endlich Sonntag.

Viel zu lange musste ich auf dich warten, die Woche ist unendlich lang gewesen. Doch heute ist es so weit! Mir läuft das Wasser im Munde zusammen, wenn ich an den leicht salzigen Geschmack deiner Haut denke.

PFAUENFEDER

Ich habe Höhenangst, ich habe Angst in zu engen Räumen, ich habe Angst in dunklen Fahrstühlen, in großen Menschenansammlungen, in langen Tunneln – besonders wenn man dabei in einem Stau steht. Ich habe Angst, wenn ich in dicker Kleidung, und damit meine ich einen viel zu langen Schal, den ich mir viermal um den Hals gelegt habe, Handschuhe aus Polyester, wadenhohe Boots mit Innenfutter sowie eine kratzige Wollmütze, über die ich noch die Kapuze meines olivgrünen Parkas gestülpt habe, durch eine Drehtür eines Kaufhauses trete und mir die heiße Föhnluft entgegenströmt. Ich habe dann das Gefühl, dass ich nicht atmen kann, ich schwitze und bekomme Panik. Mir wird noch heißer und ich schnappe nach Luft – ein Kreislauf, ein ewiger Kreislauf der Angst. Ich könnte niemals Astronaut sein und in einer kleinen Kapsel zum Mond fliegen. Ich könnte niemals in einem Raumanzug schwerelos durch den Weltraum schweben, wenn zum Beispiel eine Reparatur an der Außenhülle vorgenommen werden müsste. Denn dann würden sie alle zusammentreffen: die Höhenangst, die Angst vor zu engen Räumen, die Angst vor zu dicker Kleidung, die Angst vor dem Verlust von Sauerstoff. Ich meine, höher geht es ja wohl kaum, dick eingepackter auch nicht und meine Fähigkeit zu atmen hinge einzig und allein von einer Sauerstoffflasche ab. Im Kaufhaus kann ich mir wenigstens die Klamotten vom Leib reißen und hinausrennen. Aber im Weltall bin ich den Bedingungen ausgeliefert. Lediglich die Menschenansammlungen, die würde ich da oben wohl nicht finden. Wie verlockend. Und dennoch, oder vielleicht gerade wegen dieser Universumsangst, schaue ich jeden Astronautenfilm, jede Serie, jede Dokumentation über das Weltall. In meinem Zimmer hängen Poster von Juri Gagarin, Jack Glenn, Alexej Leonow, Harrison Smitt und Sergej Krikaljow. Mich fasziniert der Gedanke, dass Astronauten sich den extremen Bedingungen hingeben, sie ihre Familien zurücklassen und freiwillig auf Pizza verzichten! Ich meine, Pizza ist doch wohl mit Abstand das beste Gericht auf diesem Planeten! Was es wohl auf den anderen Planeten zu essen gibt? Solange ich mich erinnern kann, träume ich von den Sternen.

Unerwarteter Besuch

Auch an jenem Tag, an dem zum ersten Mal etwas wirklich Ungewöhnliches in meinem Leben passiert ist: »Sie werden Astronaut, herzlichen Glückwunsch«, sagte der Mann, der vor unserer Wohnungstür stand. Er trug eine indigoblaue Uniform mit eckigen Schulterpolstern. Auf der Höhe seiner linken Brust steckte ein goldenes Abzeichen in Form einer Pfauenfeder und unter seinem rechten Arm klemmte eine schwarze Mappe, auf der ebenfalls so eine Feder abgebildet war. »Können Sie das bitte noch einmal wiederholen?«, bat ich und starrte auf das Abzeichen. Augenblicklich kam mir der Traum in den Sinn, der mich dreimal hintereinander im Schlaf aufgesucht hatte: Ich schwebe im Weltraum, um mich herum ist nichts außer tiefschwarze Dunkelheit. Ich trage keinen Astronautenanzug und frage mich: Wie kann ich atmen? Bin ich tot? Panisch schnappe ich nach Luft, doch Atmen ist zum Glück kein Problem. Ich schaue an meinen Körper hinab, der hell leuchtet und im starken Kontrast zu der Schwärze um mich herum steht. Ich sehe mich um, dabei drehe ich mich langsam um die eigene Achse. Es ist weit und breit keine Lichtquelle zu sehen. Ich kann also eigentlich gar nicht leuchten, denke ich. Auf einmal fliegt ein Elefant an mir vorbei, ein echter Elefant! Dann eine Giraffe, ein Nashorn und eine grüne Mamba. Ich erkenne sie aus Kikis Bildband von Afrika wieder. Sie liebt dieses Buch und blättert immer wieder darin herum, auch wenn sie es nie zugeben würde. Es erinnert sie an unsere Kindheit, als wir gemeinsam mit unseren Eltern in Afrika waren, bevor sie gestorben sind. Kiki war damals vier und ich fast sechs Jahre alt. Die Tiere schauen mich an, als wollten sie mit mir sprechen: Wie kommen wir hierher? Ich möchte ihnen antworten, doch mein Mund lässt sich nicht öffnen. Er ist wie zugeklebt, als hätte ihn jemand betäubt oder zu Eis erstarren lassen. Die afrikanischen Tiere schweben weiter, ohne dass ich mit ihnen sprechen kann. Wohin sie fliegen, das weiß ich nicht. Und während sie immer kleiner und kleiner werden, erscheint ein neuer heller Punkt im schwarzen Nichts. Gebannt starre ich ihn an. Er bewegt sich langsam auf mich zu. Schließlich kann ich erkennen, was es ist: eine golden leuchtende Pfauenfeder. Dieser Traum kam mir in den Sinn, als der adrett gekleidete Mann mit den Zwirbeln im Schnauzbart vor unserer Haustüre stand. Ich dachte an das schwarze Nichts, in dem ich drei Mal im Schlaf schwerelos gewesen war, ich dachte an die afrikanischen Tiere und besonders dachte ich an die goldene Pfauenfeder. Ich starre immer noch darauf, als der Mann jene Worte wiederholte, die mein Leben verändern sollten: »Sie werden Astronaut und ich bin hier, um Sie abzuholen.« Sein markantes Gesicht mit den silbernen borstigen Brauen, den dunkelblauen Augen und dem gepflegten Schnauzbart mit Zwirbeln verschwamm vor meinen Augen. Ich stützte mich am Türrahmen ab. »Sie sind für unsere Akademie auserwählt worden«, fuhr er fort, als ginge es um einen kleinen sportlichen Wettkampf beim alljährlichen Schützenfest. »Sie dürfen die nötigsten Sachen packen – ich denke, dazu gehört eine Zahnbürste, Zahnpasta, Waschcreme, Handtücher und ein paar anständige Hemden – und dann geht es los. Und bitte ziehen Sie sich doch rasch jetzt schon ein sauberes Hemd über. Es gehört sich nicht für einen angehenden Astronauten, so herumzulaufen …« Mir wurde abwechselnd kalt, warm, kalt und noch einmal warm. Träumte ich etwa noch? Das konnte doch unmöglich die Realität sein, dachte ich. Es war sicherlich einer dieser Träume, in denen man merkt, dass man träumt, aber man schafft es nicht, wach zu werden. Bis eben hatte ich doch noch in meinem Bett gelegen, das erste Frühstück schon hinter mir – Ufo-Schockoflakes –, gefolgt von einem ausgiebigen Vormittagsschläfchen, das ich immer gegen zehn Uhr halte.

Das zweite Frühstück hatte ich auch schon, das mache ich für gewöhnlich gegen elf Uhr. Dann geht es etwas deftiger zu, ich brate mir vier Eier mit Speck und einer ordentlichen Prise Salz. Kiki sagt immer: »Das ist widerlich«. Meine Schwester isst am liebsten Schwarzbrot mit Avocado, aber auch nur hauchdünn bestrichen und natürlich, natürlich ohne Salz. Höchstens ein bisschen Kräutersalz. Nach dem zweiten Frühstück hatte ich im Wohnzimmer ein bisschen ferngesehen und mich erst am Nachmittag für ein weiteres Schläfchenin mein Zimmer zurückgezogen. Weil es so heiß war, schlief ich ohne Oberteil, ich trug nur eine weite Jeansshorts, deren oberer Knopf geöffnet war, denn mein Nachmittagssnack, eine Pizza mit scharfen Jalapeños der Marke Flying Captain – die ist einfach die beste, doch leider macht sie einen auch sehr schläfrig – lag mir schwer im Magen. Die Fenster waren geschlossen, damit der Lärm der Großstadt draußen auf der Straße blieb. Auch die Abgase wollte ich nicht hereinlassen, die im Sommer, wenn der Wind schlecht steht, immer nach oben getragen werden, sodass es einem vorkommt, als lebte man in einer Tiefgarage. Der Teller mit den Pizzaresten lag neben mir auf dem Bett. Immer wenn ich ausatmete, klirrte das stumpfe Messer auf dem Keramiktellerrand. Ich schnarchte, aber nur ganz leise. Das alles weiß ich, weil Kiki mich genau so vorgefunden hat und es mir später erzählte.

Jack Bones

»Jack! Da steht so ein komischer Typ vor der Tür und möchte dich sprechen. JACK!«, hatte sie mich unsanft aus dem Schlaf gerissen. »Steh mal auf. Das ist doch bestimmt einer deiner Nerds, der mit dir über Aliens reden möchte.« Sie kicherte. »Vielleicht ist er aber auch vom Amt. Jetzt ist es so weit, Jack, jetzt kommen sie uns holen!« »Hä? Was is’n los?«, hatte ich gemurmelt, das schattenhafte Gesicht von Kiki schlaftrunken betrachtet und war ohne weiter nachzudenken zur Tür getaumelt. Mein Puls hatte sich binnen Sekunden verdoppelt. Ich hatte mir mit dem Handrücken die Speichelspur aus dem Mundwinkel gewischt, dann die Haustür geöffnet und diesen »komischen Typen« vor unserer Tür vorgefunden. »Herr Bones?«, sagte der Mann mit dem goldenen Pfauenfederabzeichen. »Ja …?«, antwortete ich. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich schon seit mindestens zwei Minuten nichts mehr gesagt hatte.  »Ich bin etwas überrascht, dass Sie nicht vorbereitet sind. Sie haben doch den Brief erhalten …?«, meinte er.  »Den – den Brief?«, wiederholte ich unsicher. Hatte Kiki etwa recht? War dieser Mann in Wirklichkeit vom Amt? Hatten sie herausgefunden, dass Kiki und ich seit knapp zwei Jahren alleine wohnten, ohne Erziehungsberechtigte, ohne unsere ältere Schwester, die eigentlich für uns verantwortlich war? Der Mann runzelte die Stirn. »Sie sind doch Jack Bones, Sohn von Amira und Tom Lennard Bones?«, hakte er nach, öffnete die schwarze Mappe und blickte auf eine lange Liste mit Namen. »Ja«, bestätigte ich zögerlich. »Nun, wenn Sie Jack Bones sind«, grummelte er und schloss die Mappe mit einem lauten Knall, »dann bin ich hier, um Sie abzuholen.« Ich schluckte schwer. Kiki hatte ins Schwarze getroffen, jetzt war es vorbei, jetzt sammelten sie uns ein und brachten uns ins nächste Waisenhaus. Oder träumte ich etwa immer noch? Ich blickte an mir herab, suchte hoffnungsvoll nach einem Indiz, das für einen Traum spräche, betrachtete meine nackten Füße, von denen der linke ein bisschen größer war als der rechte – das war aber vollkommen normal –, ich sah die haarigen dünnen Beine, die so fürchterlich wackelig dastanden, musterte die dunkelblaue Jeansshorts und blieb an dem offenen Knopf meiner Hose hängen. Ach ja, dachte ich, die Pizza.

Nervös huschte mein Blick zu dem Mann in der Tür, der etwas die Nase zu rümpfen schien. Schielte er etwa gerade auf meine Planeten-Boxershorts, die ein ganzes Stück weit herausguckte? Ich zwickte mir vorsichtshalber in den Bauchspeck, den ich die letzten Jahre mit Stolz angesetzt hatte, meine Wangen leuchteten rot auf – ich musste feststellen, dass dies kein Traum war. Der Mann mit den Zwirbeln im Schnauzbart zog eine seiner silbernen borstigen Augenbrauen hoch und sah mich an, als hätte ich die geistigen Fähigkeiten einer Schildkröte. »Ich würde gerne eintreten«, sagte er fordernd und auch ein wenig ungeduldig. Er sah mich erwartungsvoll an, wartete darauf, dass ich den Weg freimachte. Ich überlegte noch, die Tür einfach vor seiner Nase zuzuknallen, trat dann aber doch beiseite und deutete auf die Wohnzimmertür. Es hatte ja doch keinen Sinn. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Kiki uns durch einen Spalt ihrer Zimmertür beobachtete, und als sie bemerkte, dass ich sie bemerkt hatte, zog sie eine Grimasse und ließ die Tür demonstrativ ins Schloss fallen. Im Wohnzimmer sah es aus wie immer. Es lag alles Mögliche herum: alte Bücher von Flohmärkten und aus Kindertagen, Donald Duck Comics, die Teeniezeitschriften von Kiki und meine »nerdigen Alienhefte«, wie sie immer sagte, ausgetrocknete Kulis, angefangene Kreuzworträtsel, unvollständige Kartenspiele, leere PET-Flaschen mit kaputten Deckeln und zerfleddertem Etikett, Kinokarten, die Kiki und ich eigentlich an die Wand pinnen wollten, es aber doch nie taten, Kapuzenpullover und T-Shirts mit Tomatenflecken und bauchfreie Jeansjacken.

Der Mann in der Uniform zog seine rechte Augenbraue bei dem Anblick unseres Wohnzimmers so hoch, dass sie fast unter seinem Haaransatz verschwand. Ich meinte, ein leises »Tz« von ihm zu vernehmen. Als könnte ich die Situation damit etwas besser machen, schloss ich nun endlich den oberen Knopf meiner Hose und zog mir eines der T-Shirts mit einem besonders großen Tomatenfleck über. Gleichzeitig schob ich ein paar Klamotten, Spiele und Zeitschriften auf dem Sofa beiseite, damit der fremde Mann sich hinsetzen konnte. Doch dieser bevorzugte es scheinbar zu stehen. Nun räusperte er sich, während ich mich stöhnend auf der alten Ledercouch niederließ. Lecker, da liegt ja noch ein Stück von gestern, dachte ich, als ich den Teller mit der Salamipizza auf dem Boden neben der Couch entdeckte. Doch ich hielt mich zurück. Es war unhöflich, Gästen etwas vorzukauen. Erwartungsvoll wandte ich nun den Blick meinem Gast zu. »Wie ich Ihnen schon mitteilte«, begann dieser, »möchten wir Sie auf unsere Akademie aufnehmen und –« »Sie sind nicht vom Amt?«, unterbrach ich ihn. »Vom Amt?« Der Mann runzelte die Stirn. »Nein, ich bin von der Pfauenakademie Hamburg und –« »Der Pfauenakademie?«, fiel ich dem Mann abermals ins Wort und erntete sogleich einen strengen Blick, der mir klarmachte, dass solche Unterbrechungen von ihm für gewöhnlich nicht geduldet wurden.

Foto: Cover von Lea Funke

Die Pfauenakademie

»Ganz recht«, sagte er und sog scharf die Luft ein, »die Pfauenakademie. Sie ist eine von fünf Astronautenakademien in Deutschland, die sich der Ausbildung von Jungtalenten wie Ihnen …«, die letzten drei Worte schienen ihm deutlich schwerer über die Lippen zu kommen als die anderen, »… widmen. Es ist eine Ehre, auserwählt zu sein.« Der Mann sah mich an, als erwartete er, dass ich zu jubeln begänne und mir Tränen in die Augen stiegen. Doch ich starrte einfach nur zurück und kratzte mich an meinem kaum sichtbaren Zehntagebart. »Das ist ein Scherz, oder?«, fragte ich nervös und lachte kurz auf. Der Mann blähte sich auf wie ein Heidelbeermuffin, den man mit der doppelten Menge Backpulver angerührt hatte: »Selbstverständlich nicht! Wollen Sie etwa andeuten, dass ich, Timmothy von Bergen-Bergewig-Leuter, hier meine Zeit verschwende, um einfältigen Jungen, wie Sie es sind, einen – einen Streich zu spielen?!« »Ähh«, stammelte ich. Der Heidelbeermuffin drohte zu explodieren. Er gab ein Pfeifen von sich, vibrierte und lief dunkellila an. »Sie haben keine Ahnung, wen Sie hier vor sich haben! Wenn Sie in der Akademie angekommen sind, werden Sie noch lernen, mit welchem Ton man zu sprechen hat! Nun, ich erwarte eine Antwort von Ihnen. Meine Zeit ist begrenzt und – mit Verlaub – das Klima in ihrer Wohnung ist nicht länger verkraftbar.« Ich schluckte und versuchte meine folgenden Worte bewusster zu wählen: »Entschuldigen Sie bitte, Herr …« »Herr von Bergen-Bergewig-Leuter«, zischte der Mann.. »… Herr von Bergen-Berge-Wicht-Leuten …«, sagte ich. Der Mann pfiff noch lauter, doch ich sprach einfach weiter: »Vielleicht können Sie sich ja vorstellen, wie das aus meiner Sicht klingt. Ich kenne Sie nicht, ich habe noch nie etwas von einer Astronautenakademie für Jugendliche gehört und es kommt mir ein bisschen seltsam vor, dass man so zwischen Tür und Angel darüber informiert wird.« Der Mann in der Uniform zog zum dritten Mal überrascht seine Braue hoch: »Sie wurden nicht informiert?« Ich schüttelte vehement den Kopf. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn. Er zückte ein Taschentuch und tupfte sie vorsichtig ab. »Oh, wie ärgerlich. Der Brief müsste vor vier Wochen eingetroffen sein. Ihre Eltern hätten ihn sogar unterschreiben müssen! Sind Sie sicher, dass Sie keinen Brief erhalten haben?« Wieder schüttelte ich den Kopf. »Nun … wo sind Ihre Eltern? Ich würde sie gerne sprechen«, sagte der Mann. Meine Handinnenflächen begannen zu schwitzen und ich suchte hastig nach einer passenden Ausrede. Dass meine Eltern tot waren, würde ich ihm natürlich nicht aufs Brot schmieren. Denn dann wäre die nächste Frage, wer denn unsere Erziehungsberechtigten seien. Und dies würde ihn schließlich zu unserer mittlerweile dreiundzwanzigjährigen Schwester Tammi führen, die uns vor zwei Jahren im Stich gelassen hatte. Niemand wusste das, niemand wusste, dass Kiki und ich alleine lebten. Bis jetzt.

»Meine Eltern sind … alsoooo …«, begann ich.

»Ja?«, hakte der Mann ungeduldig nach.

»Ähm, einkaufen«, log ich wenig überzeugend.

»Einkaufen, verstehe«, erwiderte er misstrauisch. »Nun, da, wie mir scheint, an irgendeiner Stelle der Informationskette ein Fehler vorliegt, bleibt mir nichts anderes übrig, als Rücksprache mit der Akademie zu halten und mich dann erneut bei Ihnen zu melden.

Und Sie sprechen bitte mit Ihren Eltern. Es ist äußerst wichtig, dass Sie sich eingehend Gedanken über diese Entscheidung machen. Ich habe hier …«, er nahm die Mappe mit dem goldenen Pfauenfederabzeichen zur Hand und zog einen Brief hervor, »ein paar Informationen für Sie, die Ihnen vielleicht hilfreich sein können. Auf anderem Weg werden Sie nichts über die Pfauenakademie oder die vier anderen Astronautenakademien finden, denn das Ganze wird ziemlich unter Verschluss gehalten, Sie verstehen?

Aber es gibt eine Webseite, auf die Sie nur mit einem Passwort Zugriff haben. Das Passwort ändert sich regelmäßig. Zurzeit lautet es ›Astrophysik101‹, wobei das ›A‹ großgeschrieben wird. Ich nehme an, Sie können es sich ohne Weiteres merken?«

Ich nickte.

»Gut«, sagte er, dann blickte er zur Wohnzimmertür. »Wie ich feststellen musste, haben Sie eine ziemlich neugierige Schwester. Ich denke, wir sind uns einig, dass Sie sie darüber in Kenntnis setzen müssen, dass sie ebenso zur Verschwiegenheit aufgefordert ist wie Sie. Selbst wenn Sie sich gegen die Akademie entscheiden, müssen Sie uns versichern, dass Sie sämtliche Informationen für sich behalten. Ein Verstoß kann schwerwiegende rechtliche Folgen haben. Aber das wird Ihnen ohnehin alles sehr ausführlich auf der Webseite erklärt.«

Er überreichte mir den Brief.

»Mein Besuch hat viel länger gedauert, als ich erwartet habe. Ziemlich ärgerlich das Ganze. Schließlich muss ich noch ein paar weitere Anwärter aufsuchen. – Sie entschuldigen mich «, sagte er, wandte sich um und schritt eilig Richtung Tür. Kurz bevor er das Wohnzimmer verließ, hielt er noch einmal inne und meinte:

»Ach, der Brief, den ich Ihnen gerade gegeben habe  …  Sie sollten sich nicht allzu viel Zeit damit lassen. Er wird sich in 24 Stunden selbst auflösen.«

Und dann verließ er die Wohnung.

November 2021

Titelbild: Foto Ingo Ebert (privat)

© 2021 Lea Funke
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung der Autorin wiedergegeben werden.

Ein Match mit Happy End

Der erste Kontakt erfolgte vor ein paar Tagen. Scheinbar aus dem Nichts aufgetaucht, Pollux war völlig unvorbereitet gewesen. Viele Nachrichten gingen seitdem hin und her. Pollux und Luna hatten sich inzwischen soweit angenähert, dass dem ersten Treffen mit Spannung entgegengefiebert wurde. Die Voraussetzungen waren günstig, die Zeit wurde abgestimmt und bestätigt. Noch waren viele Fragen offen. Waren beide Seiten dazu wirklich bereit und technisch in der Lage? Welche äußeren Störungen konnten auftreten und damit kurzfristig diesen komplizierten Vorgang behindern?

Der Tag rückte näher, Hektik kam auf. Die Vorbereitungen liefen auf Hochtouren. Der Landeplatz war mit Bedacht gewählt. Alle Varianten wurden theoretisch durchgespielt. Ein peinliches Scheitern sollte ausgeschlossen werden.

Heute ist der Tag X.

Das notwendige und zeitaufwendige Vorspiel wurde erfolgreich beendet. Die Bodenstation ist nun empfangsbereit. Die Ankunft wird mit großer Spannung erwartet. Jetzt, nun ist es endlich soweit. Der Körper schwebt wie magisch lautlos über dem Auge des Betrachters heran. So dicht, dass man jedes Detail haarscharf erkennen kann.

Zwei große Ausbuchtungen mit kurzen Antennen an der Spitze, parallel und perfekt synchron, fesseln vorübergehend die Aufmerksamkeit, als der Organismus auf der Hälfte des Überfluges flüchtig stockt und regungslos verharrt, um gleich darauf langsam weiter zu gleiten.

Der außergewöhnliche Anblick, ein vollendet gebauter schlanker Rumpf, die Krönung der Schöpfung mit makellos heller Außenhaut, fasziniert den Beobachter. Die Schleuse hat sich geöffnet, glitzert feucht im diffus einfallenden Sonnenlicht.

Das Objekt nähert sich unaufhaltsam. Es scheint, dass ist nicht die erste Begegnung Lunas mit dieser Spezies. Denn keinen Millimeter zu weit senkt sich nun der glatte Körper, perfekt beherrscht, Zentimeter für Zentimeter in Zeitlupe herab.

Der Landestutzen ist komplett ausgefahren, bereit zum Andocken.

Endlich, es berühren sich die beiden Pole. Ein leichtes Zittern geht durch den Torso, um dann mit einem Seufzer vollständig aufzusetzen.

Die Verbindung ist nun hergestellt, es passt alles perfekt ineinander. Die Triebwerke laufen stöhnend aus, große Erleichterung auf beiden Seiten.

Happy End!

geschrieben November 2020

Titelbild: „Luna“ – Tuschezeichnung von © 2021 Saskia Menzel

© 2021 Ingo M. Ebert
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk (Text) darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Autoren wiedergegeben werden.

Endlich Grillen

Man kann es kaum glauben, der Sommer ist wieder da. Was gibt es schöneres als Grillen, Bier und Sonnenuntergang mit einem tellergroßen Steak, auf der einen Seite halb verbrannt und auf der anderen halb blutig in der Hand?

Natur-gemäß ist diese Aufgabe was für richtige Männer! Denn wer hat das Feuer erfunden?

Richtig, natürlich die Männer!

Also den neu gekauften Profigrill zusammengebaut, die übrig gebliebenen Schrauben und Stangen entsorgt, (wieso das Ding jetzt wackelt, keine Ahnung?). Den 15 kg Holzkohlesack aufgerissen, dabei die Hälfte über den Boden verstreut und mit Spiritus erst die Haare und dann die Kohle angezündet.

Wow, wie die Flammen brennen und rußen tun!

Dann gibt es ein leichtes Knacken und zisch … habe ich mir mein linkes Ohrläppchen von hinten durch den Funkenflug verbrannt. Autsch! … Das tut echt weh … mit dem kühlen Bier gelöscht und gekühlt, immer noch wundernd, wie so was gehen kann, haue ich die klodeckelgroßen Steaks auf den Grill! Das Fett lässt die Flamme erneut einen halben Meter über den Rost aufsteigen.

Mit der riesigen Zange und dem krassen Messer versuche ich die Teile zu wenden. Welcher Idiot hat sich das ausgedacht, Ritzen zwischen den Stangen, da rutscht doch das Fleisch rein! … Schwitz!

Endlich gewendet, das obere Teil ist nun nicht nur von der Holzkohle schwarz!

Macht nix, ich mag es sowieso etwas herzhafter!

Mein linkes Ohrläppchen schmerzt nun wieder, der Schweiß läuft, die Augen tränen von dem Schei.. Qualm!

Ich liebe grillen!

Nun fängt das Kind an zu nerven, es hat Hunger! Ja, verflucht noch mal, ich auch!

Wo sind denn jetzt bloß die echten Thüringer Rostbratwürste hin? Uuupps… unter den Tisch gerollt. Schnell auch auf den Grill, ist sowieso gleich alles gleichmäßig schwarz, egal von was.

Foto:privat

Nun kommen der Rest der Familie und die gerade eingetroffenen Bekannten dazu!

Haben gerochen, dass es was zu essen gibt! Klar, nun kommen auch noch die gut gemeinten Vorschläge, haben ja ebenfalls alle Ahnung vom Grillen und sparen nicht mit Tipps und Tricks. Als ob ich nicht selbst schon mal ne Flamme mit einer Pulle Bier gelöscht hätte… der weiße Schaumstrahl schießt zischend über das Ziel hinaus und vertreibt die ersten „Langfinger“, welche nicht abwarten können oder wollen! Ha,… ich verteidige das Grillgut bis zum letzten abgebrannten Kohlestück! Was heißt hier, das Fleisch wird zu trocken? … Wozu gibt es denn Ketchup?

10 Minuten später, denn ich habe die Macht, rufe ich:

„Das Fleisch ist jetzt fertig!“

Ausgehungert schlingen alle das verbrannte Grillfleisch runter, ohne sich auch nur mit einem einzigen Wort zu beschweren!

Seufz…eine Ruhe! Wie schön entspannend kann grillen sein!

geschrieben: Sommer 2010

Titelbild: Holzkohlegrill – Foto (privat)

© 2021 Ingo M. Ebert
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk (Text) darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Autoren wiedergegeben werden.